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Archiv-Artikel

Der Richter, der unabhängig sein wollte

Andreas Müller wollte das Cannabisverbot überprüfen lassen. Die Brandenburger CDU sah gleich mal rot

Unabhängig, das verlangt das Grundgesetz, soll ein Richter sein. Andreas Müller, Amtsrichter in Bernau, versteht das durchaus als Auftrag. 2002 setzte er ein Verfahren aus, in dem ein junger Mann wegen Besitzes von drei Gramm Haschisch belangt werden sollte, und legte es dem Bundesverfassungsgericht vor. Das Cannabisverbot kam ihm unverhältnismäßig vor. Karlsruhe ließ sich Zeit, Müller wurde ungeduldig; er begann die Verfassungsmäßigkeit des Cannabisverbots in einem weiteren Verfahren zu überprüfen und lud dazu mehrere Gutachter ein. Das hat sich zu einer kleinen brandenburgischen Affäre ausgewachsen, denn bald ist Wahlkampf.

Der CDU-Landtagsabgeordnete Sven Petke forderte also, dass Müller seines Amtes enthoben werden soll. „Er verhindert nun schon zum wiederholten Male die Verfolgung schlimmer Drogendelikte“, sagte Petke. Das erinnere an Rechtsbeugung und sei eine Verschwendung von Steuermitteln. Die brandenburgische Justizministerin Barbara Richstein, ebenfalls CDU, sagte nichts. Das veranlasste den Brandenburgischen Richterbund wiederum zu harter Kritik: Richstein hätte Müller schützen und Strafantrag wegen übler Nachrede stellen müssen.

Müller zu schützen fällt der Justizministerin aber anscheinend nicht leicht. Müller ist ein ungewöhnlicher und ein linker Richter. Wenn Müllers Maßstab sich durchsetzt und jedes Verfahren, in dem der Staat „mit Kanonen auf Spatzen schießt“, eine besondere Prüfung nach sich zöge, müsste die Justiz viele Verfahren aussetzen. Dass Müller das Gesetz, das den Besitz von weichen wie harten Drogen bestraft, nur gut geprüft anwenden möchte, ist wiederum nicht nur eine juristische Entscheidung.

Müllers Vater war Alkoholiker. Nach einem Entzug wollte der Vater in einer Dorfkneipe eine Cola trinken. „Du bist kein Mann“, habe ein Kneipentrinker zum Vater gesagt, berichtet Müller. Der Vater trank ein Alster. Sechs Monate später war er tot. Müllers Bruder dagegen flog wegen Cannabis-Konsums von der Schule und saß wegen Handels mit Cannabis im Gefängnis. Nach der Entlassung wurde er heroinabhängig. „Ich weiß, wie Alkoholiker, wie Junkies und wie Kiffköpfe funktionieren“, sagt Müller. „Wenn ich das ins Verhältnis setze, ist mir ein kiffender Vater allemal lieber als ein alkoholabhängiger, der prügelt.“

Das Verfassungsgericht hat sich letzte Woche gegen Müller entschieden. Ein Richter habe nicht das Recht zur allgemeinen Aufsicht über Gesetze. Müller hat das akzeptiert und verurteilt Haschkonsumenten wieder umstandslos. Wo ihm niemand reinreden kann, wird er dagegen weiter eigene Wege gehen und Neonazis lieber auf Socken als in Springerstiefeln in den Gerichtssaal lassen. Dass Petke und Richstein gegen den Richter agierten, ist dagegen schlichter Wahlkampf. Die beiden haben damit gezeigt, dass gedankliche Unabhängigkeit auch Politiker zieren kann. Und dass es selten zu viel Unabhängigkeit gibt, aber oft zu wenig. MAREKE ADEN