Gesundheit für alle

Bei der Diskussion über die Zukunft der Krankenversicherung werden falsche Alternativen aufgebaut. Die Kopfpauschale ist sozial – wenn man‘s richtig macht

Wer wenig hat, muss zusätzlich entlastet werden, etwa durch eine Änderung bei der Vorsorgepauschale

Mit dem Thema „Solidarische Bürgerversicherung gegen unsoziale Kopfpauschale“ wollen SPD und Grüne bei den nächsten Bundestagswahlen punkten. Doch die ausformulierten Vorschläge lassen auf sich warten. Es scheint doch schwierig zu sein, ein Konzept zu finden, das die Arbeitgeber entlastet und die Arbeitnehmer erfreut.

Dabei lassen sich Kopfpauschale und Bürgerversicherung tatsächlich gut kombinieren. Dies wissen auch die Grünen. In dem von ihnen bestellten Gutachten des Berliner IGES-Instituts heißt es: „Der im Bericht der Rürup-Kommission (2003) konstruierte Gegensatz zwischen Bürgerversicherung und Gesundheitsprämien [d.i. die Kopfpauschale, d. Red.] stellt jedoch eine Scheinalternative dar, wie etwa das Schweizer Krankenversicherungssystem zeigt, das eine Bürgerversicherung mit Kopfprämien ist.“

Bürgerversicherung bedeutet, dass die Teilung des Gesundheitssystems in gesetzliche (GKV) und private Krankenversicherung (PKV) sowie Beamtenbeihilfe ganz oder teilweise aufgehoben wird. Die Versicherten in der GKV nehmen heute zwangsweise an einer Einkommensumverteilung und am Familienlastenausgleich teil. Gut verdienende Angestellte, Selbstständige und Beamte können häufig aus dieser Umverteilung in die PKV fliehen. Die privaten Krankenkassen betätigen sich dabei als Rosinenpicker. Junge und Gesunde werden gern genommen, die Kranken und Alten überlässt man der GKV.

Um diese Teilung aufzuheben man weder die GKV noch die PKV abschaffen. Es genügt, Regeln vorzuschreiben, die allgemein gelten: Alle angebotenen Tarife für Neuabschlüsse müssen unabhängig sein von Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen der Versicherten. Es besteht eine Versicherungspflicht für alle Bürger. Jeder kann entscheiden, ob er sich gesetzlich oder privat versichert. Dies wäre eine echte Bürgerversicherung. Da kann die PKV dann beweisen, dass sie trotz hoher Vertriebs- und Verwaltungskosten sowie der Notwendigkeit, Gewinne zu erzielen, konkurrenzfähig ist.

Bleibt zu klären, ob die Höhe der Beiträge vom Einkommen abhängig sein soll oder ein Pauschale pro Kopf erhoben wird. Die Modelle für die Kopfpauschale sehen, zumindest für den Einführungszeitpunkt, keine Umverteilung der Lasten von den Arbeitgebern hin zu den Arbeitnehmern vor.

Aufgabe einer Krankenversicherung ist die Solidarität zwischen Gesunden und Kranken. Der Ausgleich zwischen Arm und Reich, allein Stehenden und Kinderreichen gehört in Steuersystem. Dort sind alle Einkommensarten berücksichtigt, und es gibt keine Beitragsbemessungsgrenzen. Wenn dieses System seine Aufgaben nicht erfüllt, muss man es ändern. Stattdessen die Krankenversicherung zu einer neuen Steuer auszubauen macht die Sache nicht einfacher und sozialer.

Prüft man alle Argumente wie Wirkung auf den Arbeitsmarkt, Verwaltungsaufwand und soziale Gerechtigkeit, so spricht nur ein gewichtiges Argument zunächst gegen die Kopfpauschale: Ohne Ausgleichsmaßnahmen führt sie zu zusätzlichen Belastungen für die Armen. Bert Rürup ging bis vor kurzem von einer Kopfpauschale von 200 Euro pro Erwachsenen aus. Inzwischen hat er für die CDU ein Konzept mit nur 169 Euro Einheitsprämie vorgelegt. Diese Senkung wird dadurch erreicht, dass auch für Kinder ein Beitrag von 78 Euro zu zahlen ist und das Kindergeld entsprechend erhöht wird. Die damit vollständige Verlagerung des Familienlastenausgleichs ins Steuersystem ist sinnvoll.

Nimmt man jedoch die anstehende Reform zum Anlass, die Belastungen der Kranken durch die letzte „Gesundheitsreform“ rückgängig zu machen, und berücksichtigt die zu erwartenden Ausgabensteigerungen bis zum In-Kraft-Treten der Neuregelung, sind 200 Euro weiterhin realistisch.

Wer heute etwa 1.400 Euro brutto im Monat verdient, zahlt inklusive Arbeitgeberanteil 200 Euro an die GKV. Wird der Arbeitgeberanteil zum Bruttolohn zugeschlagen, muss er jedoch versteuert werden. Deshalb müssen im Rürup-Modell alle Arbeitnehmer, die mehr als das Existenzminimum verdienen, höhere Steuern zahlen. Die geschätzten Mehreinnahmen von 18 Mrd. können dann für Ausgleichszahlungen an Menschen mit geringen Einkommen verwendet werden. Bei 1.400 Euro bedeutet dies, dass zwar der Krankenkassenbeitrag unverändert bleibt, aber mehr Steuern zu zahlen sind. Netto bleibt also weniger in der Tasche. Wer weniger verdient, ist sogar doppelt gekniffen. Er muss mehr zahlen für Steuern und Krankenkasse.

Bei einem Einkommen von 1.700 E brutto entspricht die Steuererhöhung der Beitragsersparnis der GKV. Angestellte, die bereits Mitglied der PKV sind, treffen die Steuererhöhungen voll.

Das steuerfreie Existenzminimum für allein stehende Arbeitnehmer liegt gegenwärtig bei 900 Euro brutto. Dafür sind 65 Euro Krankenkassenbeitrag fällig. Diese werden heute bei der Steuerberechnung als Vorsorgeaufwendungen berücksichtigt. Die Logik dabei ist schon heute: Wer mehr verdient, kann seine Vorsorge auch aus dem versteuerten Einkommen leisten. Wer wenig hat, muss zusätzlich entlastet werden. Durch eine Änderung bei der Vorsorgepauschale können also Bezieher niedriger Einkommen gezielt besser gestellt werden. So wird es möglich, dass alle mit heute 1.150 Euro brutto oder mehr in Zukunft nicht weniger im Geldbeutel haben.

Kopfpauschale und Bürgerversicherung lassen sich tatsächlich gut kombinieren

Es bleibt dann eine relativ kleine Gruppe mit geringeren Einkommen, die nicht Sozialhilfe bezieht. Diese sollten Beiträge zur Krankenkasse, die über einen maximalen Anteil am Bruttoeinkommen hinausgehen, direkt von Finanzamt erstattet bekommen.

Durch die Änderungen bei der Vorsorgepauschale würden zwar die Steuermehreinnahmen geringer ausfallen, als von Rürup berechnet. Gleichzeitig würden aber die Kosten für einen zusätzlichen sozialen Ausgleich sinken, da er für fast alle Arbeitnehmer nicht mehr notwendig wäre. Zum Ausgleich sollte die für 2005 vorgesehene Steuersenkung von 6,8 Milliarden entfallen. Dies würde fast ausschließlich diejenigen treffen, die durch die Kopfpauschale entlastet werden oder als Mitglied der PKV bereits entlastet sind. Oder wäre das für Rot-Grün unsozial?

Rürup schlägt zur Finanzierung des sozialen Ausgleichs vor, entweder die Mehrwertsteuer oder den Solidaritätszuschlag zu erhöhen: Eine höhere Mehrwertsteuer würde alle treffen, der höher Solidaritätszuschlag alle Einkommensteuerzahler. Somit müssten die Armen ihre Zuschüsse zur Krankenversicherung teilweise selbst finanzieren.

Natürlich müssen auch Arbeitslosengeld I und II, die Sozialhilfe, das BaföG, und die Renten (insbesondere die Grundsicherung) entsprechend erhöht werden. Das Existenzminimum ist eben um 200 Euro höher, als es jetzt berechnet wird. Dabei ist sicherzustellen, dass diese Leistungen bei Beitragserhöhungen automatisch angepasst werden. So muss man sich in Zukunft nicht immer neue Modelle ausdenken, um die Finanzlücken im Gesundheitswesen zu schließen, ohne die Arbeitgeber zu belasten. ULRICH SEDLACEK