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Archiv-Artikel

„Ich bin leidenschaftlich“

Die Angst, religiös zu denken, der neue Trend Authentizität, die Gefahr der Verkitschung: Ein Gespräch mit dem dänischen Autor Stig Dalager, der morgen in Berlin seinen Roman über Graf von Stauffenbergs Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 vorstellt

INTERVIEW ULF LIPPITZ

taz: Sie haben einen Roman über das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 geschrieben. Ist Stauffenberg eine bekannte Figur in Dänemark?

Stig Dalager: Nein, überhaupt nicht. Es ist nicht bekannt, dass es Männer in Hitlers Umgebung gab, die ein Attentat auf ihn planten. Ich habe den Roman geschrieben, um das zu ändern.

Glauben Sie, Sie konnten dabei objektiver vorgehen als ein deutscher Schriftsteller?

Ja, mit meiner Außenperspektive kann ich die Dinge kühler betrachten, beuge nationaler Sentimentalität vor und beurteile Ereignisse von einer europäischen Warte aus. Aber ich bin trotzdem leidenschaftlich.

Warum?

Ich möchte, dass anerkannt wird, dass am Rand einer totalitären Gesellschaft jemand den Mut hatte, auf Kosten seines Lebens gegen die Tyrannei zu kämpfen.

Was hat Sie persönlich an der Figur Stauffenberg gereizt?

An der Geschichte Stauffenbergs hat mich seine Wende interessiert – jener Punkt, als er von den massenhaften Erschießungen und Hinrichtungen ukrainischer und russischer Juden durch die so genannten Einsatztruppen 1942 erfuhr. Da öffneten sich ihm die Augen. In der Fachliteratur wird darüber hinweg gesehen. Man beschreibt die Aufrührer des 20. Juli als die letzten Opportunisten des Krieges oder Militärs, die von nationalen Interessen getrieben wurden.

Wie sehen Sie ihn?

Er versuchte Menschlichkeit zu bewahren. Das ist in unserer Zeit genauso wichtig – eine Zeit, in der das Metaphysische tabuisiert wird und die sich postmodernistisch auf das Technologische ausrichtet. Wir fürchten uns heute, religiös-ethisch zu denken. Die Männer des 20. Juli waren alle religiös motiviert.

Warum ist Ihrer Einschätzung nach das Interesse am 20. Juli in diesem Jahr so enorm – gerade im deutschen Fernsehen?

Das ist doch klar. Das wiedervereinigte Deutschland sucht sich seinen Ausgangspunkt in der modernen Geschichte. Man kann ja schlecht mit dem Nationalsozialismus anfangen.

Warum nicht KPD-Führer Ernst Thälmann, der gegen die Nazis kämpfte und im KZ Buchenwald erschossen wurde?

Könnte man auch, aber das ist in Deutschland tabuisiert, was dieser Mann getan hat. Der Kommunismus ist durch den Stalinismus entwertet worden.

In der deutschen Literatur spielt Stauffenberg kaum eine Rolle. Warum?

Einer der Gründe ist die eindimensionale Art der 68er-Bewegung, Rebellen nur im linken Lager zu verorten. Die Männer des 20. Juli passten nicht in das Schema. Ihr aristokratischer Hintergrund und ihre religiöse Motivierung machten sie von einem marxistischen Gesichtspunkt uninteressant. In diesem Zusammenhang besonders ironisch: Graf Stauffenbergs persönlicher Kandidat für einen neuen Kanzler war Julius Leber – ein bekennender Sozialdemokrat!

Sehen Sie in Stauffenberg einen typischen Deutschen seiner Zeit?

Nein. Es gab Deutsche, die ein Unwohlsein fühlten, aber kaum jemand ging so weit wie er, das in die Tat umzusetzen.

Wie beschreiben Sie den typischen Deutschen damals?

Als Mitläufer. Es war wie der italienische jüdische Schriftsteller Primo Levi es mehrmals gesagt hat: Niemand wollte wissen, was wirklich passierte.

Unterstützen Sie Daniel Goldhagens These von den „willigen Vollstreckern“?

Nein, das fasst zu kurz. Es ist falsch, die Deutschen mit einer bewussten Schuld zu belegen.

Der Historiker Hannes Heer sieht eine „erinnerungspolitische Wende“ aufziehen, in der sich Deutsche als Opfer des Nationalsozialismus sehen.

Und warum auch nicht? Dresden war auch ein Kriegsverbrechen.

Taucht hier nicht eine Gefahr der Sentimentalisierung auf?

Sie existiert, aber in den letzten Jahren – insbesondere in der marxistischen Geschichtsauffassung – wurde gern vergessen, dass es menschliche Wesen sind, die den Lauf der Geschichte beeinflussen. In der Literatur erleben wir gerade einen Trend hin zur Zeugenliteratur. Sie bricht mit der modernistischen Literatur und fordert eine neue Authentizität.

Guido Knopp inszeniert in TV-Dokumentationen den Weltkrieg als Unterhaltung.

Das ist die andere Seite der Medaille: In der Berichterstattung über den Krieg kann sehr schnell ein Element der Trivialität eingebaut werden. Es gibt die so genannte Holocaust-Industrie, die die Erinnerung kommerzialisiert. Sie schadet moralisch dem Leiden der Opfer.

Sehen Sie der Verfilmung Ihres Buches durch Josef Vilsmaier mit Bangen entgegen?

Nein, ich habe seinen Film „Stalingrad“ gesehen und glaube, er wird es besser machen als im amerikanischen Kino. Steven Spielberg hat das Ende von „Schindlers Liste“ sentimental verkitscht. Die Deutschen sollten sich trauen, wichtige Themen des Zweiten Weltkriegs verstärkt zu behandeln. Wir brauchen ein Korrektiv gegenüber Hollywood.

Wird Ihr Buch Stauffenberg zu einem Helden machen?

Die Gefahr besteht. Aber dafür hätte er nur sein berühmtes sanguinisches Lachen übrig gehabt. Man wird ihm nur gerecht, wenn man ihn in seiner Widersprüchlichkeit beschreibt. Er hat Hitler zuerst bewundert. Das darf man nie vergessen.

Morgen, am 20. Juli 2004, liest Stig Dalager in den Nordischen Botschaften aus seinem Buch. 19 Uhr, Rauchstr.1, Tiergarten