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Archiv-Artikel

Kein Blick für Rollifahrer

Das sanierte Olympiastadion ist nicht behindertengerecht: Verband klagt gegen das Land Berlin.Rollstuhlfahrer sollen künftig hinter Fanblocks sitzen, die ihnen die Sicht auf das Spiel versperren

VON SABINE AM ORDE

Am übernächsten Wochenende wird das sanierte Olympiastadion mit einem großen Fest eröffnet. Doch zumindest dem Berliner Behindertenverband (BBV) und dem Landesbehindertenbeauftragten ist nicht zum Feiern zumute. Denn nach ihrer Einschätzung weist das grundsanierte Stadion gravierende Mängel für Behinderte auf – und verstößt damit gegen die Berliner Bauordnung und das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz. Deshalb hat der BBV gegen das Land geklagt.

Am 11. August, anderthalb Wochen nach der feierlichen Eröffnung, hat das Verwaltungsgericht jetzt einen Ortstermin im Stadion angesetzt, um sich ein Bild zu machen. „Wir hoffen, dass das Gericht Umbaumaßnahmen anordnet“, sagte gestern der BBV-Vorsitzende Ilja Seifert der taz. Für ihn ist das Olympiastadion ein deutliches Zeichen dafür, dass das Recht Behinderter auf gleichberechtigte Teilhabe am öffentlichen Leben in den Köpfen der Baupolitiker noch immer nicht angekommen ist.

Das größte Problem in der sanierten Sportarena: Die Plätze für Rollstuhlfahrer liegen jetzt in den Kurven hinter den Fans. „Da sieht man null“, so Seifert. Denn schließlich sitzen Fans gewöhnlich nicht ruhig auf ihren Plätzen, sondern stehen, springen und schwenken Fahnen. Bislang hatten die Rollifahrer ihre Plätze an den Geraden. Jetzt sind dort die VIP-Logen untergebracht. Es sei aber vorgeschrieben, so Seifert, dass nach größeren Umbauten Behinderte die Gebäude „zweckentsprechend nutzen können“. Davon könne beim Olympiastadion nicht die Rede sein. „Hier gibt es eine eindeutige Verschlechterung“, klagt auch Horst Lemke, stellvertretender BBV-Vorsitzender und Sprecher des Hertha-Rolli-Fanclubs. Der Behindertenverband fordert nun, dass drei Reihen vor den 170 Rolliplätzen überbaut werden.

Neben dem Verwaltungsgericht setzt der BBV auch auf die Fifa. Der Weltfußballverband schreibe für die Weltmeisterschaft, bei der 2006 sechs Spiele im Olympiastadion ausgetragen werden sollen, ausreichend Plätze für Rollstuhlfahrer vor. „Und diese Plätze dürfen ausdrücklich nicht verdeckt sein“, so Seifert. Nach Angaben des Hertha-Rolli-Fanclubs kommen zu Herthaspielen 70 bis 80 Rollstuhlfahrer.

Die Klage des BBV hätte verhindert werden können. Denn der Verband kritisiert seit dem Beginn der Planungen die Missstände. Auch der Behindertenbeauftragte des Landes, Martin Marquard, listet das Olympiastadion in seinem jährlichen Verstößebericht regelmäßig auf. Im vergangenen Jahr kritisierte er: „Die Kritik an der Um- und Neugestaltung des Olympiastadions hat bisher in keinem Punkt zu akzeptablen Lösungen geführt.“