: Gut gewinnt
Am Ende der Trials präsentiert die US-Leichtathletik zwei Sieger, die nicht des Dopings verdächtigt werden
SACRAMENTO taz ■ Eins war klar gegen Ende dieser amerikanischen Olympia-Ausscheidungen in der Leichtathletik: Sie durften nicht so aufhören, wie sie begonnen hatten –mit Doping-Debatten, Misstrauen und täglich neuen Fällen. Die Leichtathleten waren ja nicht vergeblich nach Sacramento gekommen, in die Hauptstadt Kaliforniens, in den Staat der Happyends.
Sieben Tage hatten die Bösen das Geschehen bestimmt, am achten Tag mussten die Guten gewinnen. Und das taten sie dann auch in Person von Alan Webb, dem 1.500-Meter-Läufer, und Stacy Dragila, der Stabhochspringerin. „Zwei Athleten, die ungerechterweise darunter leiden, dass das Image der Leichtathletik in die Brüche geht“, wie es Sports Illustrated formulierte.
Bei diesen Trials sind so viele Sterne vom Himmel gefallen, allen voran die Sprinter Marion Jones, Torri Edwards und Tim Montgomery, dass zum Schluss Alan Webb und Stacy Dragila als die letzten Aufrechten dastanden. Dragila ist eine der wenigen ausgesprochenen Doping-Gegnerinnen unter den US-Leichtathleten und in Sacramento zudem die Lokalheldin: Sie wurde vor 33 Jahren in Auburn geboren, einer Kleinstadt nur ein paar Meilen nordöstlich vom Hornet Stadium. Dort stellte sie vor vier Jahren bei der Olympia-Qualifikation mit 4,63 Meter einen Weltrekord auf, und nachdem sie am Sonntag den Wettbewerb mit 4,75 Meter gewonnen hatte, ließ sie die Latte abermals auf eine Weltrekordhöhe auflegen – 4,89 Meter. Das war noch zu hoch für sie, die 25.000 Zuschauer feierten sie trotzdem wie niemanden sonst bei diesen Trials.
Später gab Stacy Dragila dann als einzige Spitzenathletin in diesen Tagen ein klares Bekenntnis zur Arbeit der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada ab. „Es ist momentan eine Schande, in einer Sportart wie dieser mitzumachen“, sagte sie angesichts des Balco-Skandals um das Designer-Steroid THG, der die Titelkämpfe überschattet hatte: „Aber ich bin aufseiten der Usada, ich habe volles Vertrauen in ihre Arbeit.“ Dragila demonstrierte auch Vertrauen in ihre beiden Begleiterinnen zu den Spielen nach Athen, Jillian Schwartz und Kellie Suttle (beide 4,55): „Ich weiß, dass wir unsere Ergebnisse auf anständige Weise erzielt haben.“
Kaum einen anderen aber betrachten die Amerikaner so sehr wie den neuen Heilsbringer der Leichtathletik: Alan Webb, den 21 Jahre alten Läufer aus Virginia, was ja so viel heißt wie „die Unschuldige“. Wer von dort kommt, muss einfach unbefleckt sein. „Er ist ein Vorbild, was seine Einstellung angeht“, pries ihn sein Trainer Scott Raczko, nachdem Webb das 1.500-Meter-Rennen in 3:36,13 Minuten gewonnen hatte: „Er arbeitet wirklich sehr, sehr hart an sich.“
Der schmächtige Webb (1,75 Meter, 61 Kilogramm) ist zwar kein Wunderläufer im Vergleich zu den Afrikanern, die diese Strecke international dominieren, und auch noch kein Medaillenkandidat für Athen. Aber er ist drauf und dran, die Sehnsucht der Amerikaner nach einem großen Meilenläufer zu stillen. Die Meile (1.609 Meter) ist ja mehr als nur ein Äquivalent zu den 1.500 Metern, für die Amerikaner ist sie „die prestigereichste Laufstrecke der Leichtathletik nach den 100 Metern“ (Sports Illustrated). Es ist auch die Disziplin, in der sie am längsten auf einen neuen Olympiasieger warten: Der Letzte war ein gewisser Mel Sheppard, im Jahr 1908. Die letzte Olympia-Medaille, nämlich Silber, gewann 1968 der legendäre Jim Ryun, und als Alan Webb vor drei Jahren dessen High-School-Rekord über die Meile nach 36 Jahren verbesserte (von 3:55,3 auf 3:53,43 Min.), war das selbst der New York Times eine Meldung auf Seite 1 wert.
Man hat sich viel von ihm versprochen – und ihn nach zwei schwächeren Jahren schon wieder abgeschrieben. Nun scheint er die Erwartungen einzulösen, er ist der weltbeste Meiler in diesem Jahr (3:50,83), in Ostrau steigerte er sich Anfang Juni auf 3:32 Min. über 1.500 m, wobei er einige Weltklasse-Läufer hinter sich ließ. „Die Rennen in Europa haben ihm eine ganze Menge Selbstvertrauen gebracht“, sagt Trainer Raczko. „Dass ich durchgehalten habe nach den beiden enttäuschenden Jahren, hat mich zu einem stärkeren Läufer gemacht“, sagt Alan Webb. Vor allem hat es ihm eins gezeigt: „Es gibt immer eine Zukunft, immer wieder einen neuen Tag, an dem man aufs Neue rennen kann.“ In Amerika hoffen sie, dass die Zukunft bessere Zeiten bringt. Für Alan Webb. Für die ganze Leichtathletik. JOACHIM MÖLTER