Heroische Steinewerfer und böse Panzer

„Aftershock“, ein Jugendbuch über den Nahostkonflikt, räumt auf mit dem allzu einfachen Klischee von Opfern und Tätern

Als am vergangenen Freitag das Jugendbuch „Aftershock“ der israelischen Pädagogin Tamar Verete-Zehavi in der Berliner Bertelsmann-Repräsentanz vorgestellt wurde, war man über den Aufwand, den der Verlag cbt trieb, überrascht. So war neben der Übersetzerin des Buches, Mirjam Pressler, der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, geladen, beide sollten mit dem Spiegel-Reporter Ullrich Fichtner über das israelisch-palästinensische Verhältnis diskutieren. Warum? Ist „Aftershock“ denn nicht „nur“ ein Jugendbuch?

Tatsächlich ist „Aftershock“ mehr. Es ist die Geschichte der Schülerin Ella, die bei einem Terroranschlag verletzt wird und mit sich und der Welt fertig werden muss. Erst als sie Kontakt zur Familie der Attentäterin bekommt und die Hintergründe versteht, wird ihre Seele gesund. Das klingt fürchterlich, doch Tamar Verete-Zehavi benutzt die rührselige Geschichte, das klingt paradox, um mit Klischees aufzuräumen.

Das tödliche Aufeinandertreffen von Nadira, der jungen Selbstmordattentäterin, und Jerus, der Freundin von Ella, die auf Ella gewartet hatte, bildet den Hintergrund der Geschichte. Verete-Zehavi erzählt aus Ellas Perspektive die Konflikte, die sich für das vierzehnjährige eher linke Mädchen auftun. Ella fühlt sich schuldig, hasst die Palästinenser und findet schließlich doch zu einer Art innerem Frieden.

Das Buch, das das israelische Bildungsministerium als Schullektüre empfiehlt, kann helfen, deutschen Pubertierenden den Nahostkonflikt besser zu erklären, geht es dabei doch um mehr als heroische Steinewerfer gegen böse Panzer. Und ein besseres Verständnis ist hierzulande dringend nötig.

Das erwies die Podiumsdiskussion, die Avi Primor dominierte, die sich jedoch nicht deswegen sofort der Tagespolitik zuwandte. Ullrich Fichtner hatte den dem Buch zugrundeliegenden Fall von 2002 recherchiert, damals hatte eine achtzehnjährige Palästinenserin eine etwa gleichaltrige Israelin mit in den Tod gerissen, woraus in Fichtners Reportage gleich „Der Krieg der Mädchen“ wurde.

Wie die Diskussionen um den Film „Der Vorleser“ zeigen, ist man hier noch immer nicht willens zu begreifen, dass Frauen genauso gut fanatische Mörder sein können. Eine Selbstmordattentäterin muss in der patriarchalen Gesellschaft als Sensation gelten, ihre Tat als Verzweiflungsakt – dass man damit die Propaganda der Terrorgruppen nachbetet, scheint niemanden zu irritieren.

Dementsprechend fällt hierzulande es Israelis zu, ihr eigenes Land kritisieren zu sollen. Avi Primor musste sich zu den neusten Wahlergebnissen äußern, Pressler ebenfalls. Avi Primor erntete Unverständnis für die klassische realpolitische Überlegung, eine rechte Regierung sei der bessere Verhandlungspartner, um Frieden durchzusetzen, sofern die USA diesen ernsthaft wollen, da es dagegen dann keine Opposition in Israel gäbe. Man glaubt hier noch immer, den Israelis vorschreiben zu müssen, wie ihre Politik aussehen soll. Dass kein gemäßigter Palästinenser auf dem Podium saß, dem Ähnliches hätte abverlangt werden können, war zu erwarten. Von Palästinensern erwartet man hierzulande keine Politik. Wir sehen sie nur als Opfer.

Gegen diese Meinung kann das Buch von Tamar Verete-Zehavi helfen, obwohl es ein streckenweise kitschiges Buch ist. Denn Verete-Zehavi erzählt in „Aftershock“ nicht jüdische Geschichten für ein europäisches Publikum, sie behandelt vielmehr einen innen- und außenpolitischen Konflikt, der ihr Land, der sie selbst essenziell betrifft.

Solche Texte braucht es mehr, das machte die vergeigte Diskussion noch einmal klar. JÖRG SUNDERMEIER