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Archiv-Artikel

Verschiedene Exile

Ein wenig repolitisiert war das queere Berlinale-Event. Das heimliche Thema der 23. Teddy Awards: das Exil. Der Special Teddy ging an Joe Dallesandro, der mit queerem Lebensstolz nichts zu tun hat

VON JAN KEDVES

In Berlin nimmt die Gewalt gegen Lesben und Schwule zu. Glaubt man der aktuellen Titelstory der Zitty, gehen bei Maneo, der Berliner Hilfsorganisation für homosexuelle Gewaltopfer, täglich neue Meldungen von verbalen bis brutal tätlichen Übergriffen ein. Das Mahnmal für die in der NS-Zeit verfolgten Homosexuellen wurde seit seiner Einweihung im letzten Jahr mehrmals Ziel von Vandalismus. Die Stadt scheint Gefahr zu laufen, ihren guten Ruf zu verlieren – trotz Wowereit, trotz Berghain, trotz Bars wie Möbel Olfe.

Am Freitagabend präsentierte sich Berlin allerdings noch einmal als Paradies der Toleranz: Einen Tag vor der Bären-Vergabe wurde im Haus der Kulturen der Welt zum 23. Mal die Verleihung der Teddy Awards gefeiert. Der Berlinale-Preis für Filme, die sich mit Themen abseits des heteronormativen Üblichen befassen, wird mittlerweile offiziell nicht mehr mit „schwul-lesbisch“ untertitelt, sondern mit „queer“. Insgesamt 39 queere Kurzfilme, Dokumentationen und Spielfilme machten die Teddy-Organisatoren dieses Jahr im Programm der Berlinale aus.

Ein Themenkomplex, der die Preisverleihung bestimmte, war der des Exils. Etwa wurde John Hurt für seine Darstellung von Quentin Crisp in dem neuen Spielfilm „An Englishman in New York“ ein Teddy Award überreicht. Es ist nach „The Naked Civil Servant“ (1975) bereits das zweite Mal, dass Hurt Crisp spielt, jene stolze Tunte, die in ihrer Heimat England nur auf Spott stieß und erst in den USA Anerkennung fand. Auch für die Mitglieder der diesjährigen Teddy-Jury war Exil ein Thema, und zwar ein sehr persönliches: Manny de Guerre vom schwul-lesbischen Filmfest in St. Petersburg und Emina Trumic vom Queer Sarajevo Festival berichteten von den massiven Widerständen, die im letzten Jahr das Stattfinden ihrer jeweiligen Festivals verhinderten. Berlin musste den beiden wie ein sicherer Zufluchtsort vorkommen – wenn auch nur für die Dauer der Berlinale.

Als bester Kurzfilm wurde „A Horse Is Not a Metaphor“ der lesbischen Filmemacherin Barbara Hammer prämiert, den Preis für den besten Dokumentar-/Essayfilm bekam „Fig Trees“ von John Greyson, eine Oper um Aids-Medikation, über die Diedrich Diederichsen in seiner Berlinale-Kolumne in der taz von Samstag schrieb, sie wirke, „als hätten Isaac Julien, der mittlere Alexander Kluge und Jacques Derrida zusammengeschmissen“. Bester Spielfilm wurde „Raging Sun, Raging Sky“, ein mythisches Dreistundenepos des mexikanischen Regisseurs J. Hernández, das sicher Derek Jarman gefallen hätte.

Anders als in den letzten Jahren, in denen man beim Teddy bislang den Eindruck hatte, die Veranstaltung diene vor allem der Einbindung von Sponsorenlogos oder der Promotion für DVD-Editionen, hatte man dieses Jahr das Gefühl, wieder mittendrin zu stecken in einer Diskussion um Politik und Aktivismus. Bedauerlich war es da zwar, dass die jüngsten Übergriffe in Berlin in den Moderationen mit keinem Wort erwähnt wurden – vermutlich wollte man den internationalen Gästen, die von Berlin als „queer city“ schwärmten, nicht die rosarote Brille von der Nase reißen. Zum Appell von Michel Sidibé, des aus Mali stammenden neuen Generaldirektors von Unaids, des Aids-Programms der Vereinten Nationen, „die Verschwörung des Schweigens um Homophobie und Aids zu brechen“, wollte dieses Schweigen aber nicht unbedingt passen.

Ausgezeichnet gelang dafür der Auftritt von Joey Arias: Die Legende der New Yorker Downtown-Szene der Achtziger, bekannt als Kompagnon des frühen Klaus Nomi und Subjekt eines der ersten Wolfgang-Tillmans-Bilder („Joey Arias working at Fiorucci store“, 1985), tritt mittlerweile als raffinierter Zwitter aus Betty Page und Billie Holiday auf. Mit typisch ratzigem Kratzen in der Kehle sang er den Holiday-Klassiker „You’ve Changed“. Warum „You’ve Changed“? Sang er von Joe Dallesandro?

Genau der stieg nach Joey Arias’ Showeinlage nämlich auf die Bühne, um einen Special Teddy entgegenzunehmen – dafür, dass er „für immer die Wahrnehmung von Männlichkeit im Film“ verändert habe, begründete Wieland Speck. Tatsächlich sieht der 60-jährige Exsportathlet, der vor 40 Jahren in Paul Morrisseys und Andy Warhols „Flesh“, „Trash“ und „Heat“ wie selbstverständlich seine Hosen runterzog, mittlerweile aus wie ein ganz normaler Pizzabäcker.

In seiner Dankesrede bewies sich Dallesandro weniger als flammender Fürsprecher von Toleranz und queerem Lebensstolz – wie Helmut Berger vor zwei Jahren als Empfänger desselben Special Teddy. Der privat ausschließlich heterosexuell orientierte Dallesandro schien eher gerührt, dass man ihn in Europa überhaupt noch als Star verehrt, während sich in den USA niemand mehr so recht für ihn interessiert. Auch dies eine Art künstlerisches Exil.

Somit war es insgesamt ein runder Abend. Zum Abschiedsgruppenbild sangen die Dragkings und -queens von der Squeezebox Band noch den Lou-Reed-Klassiker, der einst für Candy Darling und Joe Dallesandro geschrieben wurde: „Hey Joe / Take a walk on the wild side / Duh-de-duh-duh-du-de-duh“. Nina Hagen drängelte aus dem Publikum in die erste Reihe und wollte unbedingt mitsingen, zwischen den Drags fiel sie aber nicht weiter auf. Und Joe Dallesandro? Der sang auch ein bisschen mit.