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Archiv-Artikel

US-Gericht legt Pläne für Atomlager auf Eis

10.000 Jahre Sicherheitsgarantie reichen nicht aus, lautet die Begründung. Ein anderer Standort ist bislang nicht vorgesehen. Jetzt könnte das Projekt Bush-Herausforderer John Kerry beim Kampf um die Präsidentschaft helfen

WASHINGTON taz ■ Ein überraschendes Gerichtsurteil hat in den USA die Pläne für das nationale Atomendlager in der Wüste Nevadas zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben. Zwar haben die US-Bundesrichter entschieden, dass es nicht der Verfassung widerspreche, dieses Projekt gegen den Willen des Bundesstaates und seiner Bevölkerung auszuführen. Doch die von der Umweltbehörde EPA anvisierte Sicherheitsgarantie von maximal 10.000 Jahren ist nach Ansicht des Gerichts illegal.

Nun ist diese Zeitspanne sowohl für Befürworter als auch Kritiker jenseits aller Vorstellung. Der Nationale Wissenschaftsrat hatte aber nun einmal berechnet, dass die eingelagerten Nuklearabfälle erst nach 100.000 Jahren die meiste Strahlung emittieren werden, und empfohlen, dass die Sicherheitsgarantie 10.000 Jahre auf jeden Fall übersteigen solle.

Die von der US-Regierung vorangetriebenen Pläne sehen vor, ab 2010 rund 130 Kilometer nördlich von Las Vegas im „Yucca Mountain“ zehntausende Tonnen hoch radioaktiven Abfall aus den 103 landesweit betriebenen Atommeilern, von nuklearbetriebenen U-Booten und Flugzeugträgern zu deponieren. Bislang werden die ausgedienten Brennstäbe an den jeweiligen Kraftwerksstandorten oder auf Militärstützpunkten zwischengelagert. Bush steht unter massivem Druck der Energiewirtschaft, da sich die Bundesregierung bereits in den 50er-Jahren verpflichtet hatte, die Verantwortung für die Entsorgung des Atommülls zu übernehmen.

Um wie vorgesehen mit der Einlagerung beginnen zu können, muss entweder der Sicherheitsstandard geändert werden oder der Kongress muss der EPA per Gesetzesbeschluss erlauben, die Empfehlung der Wissenschaftler zu ignorieren. Die Bush-Regierung könnte überdies von dem Obersten Gerichtshof gegen die Entscheidung klagen. Ein Erfolg gilt jedoch als unwahrscheinlich, da das Urteil der untergeordneten Instanz einstimmig ausfiel.

Viele Experten sind der Ansicht, dass es unmöglich ist, eine Sicherheitsgarantie von 100.000 Jahren zu geben. Somit wird sich wahrscheinlich das Parlament der Sache erneut annehmen. Doch in den verbleibenden Monaten bis zur Wahl werden weder Senatoren noch Abgeordnete dieses heiße Eisen anrühren. Der weitere Fortgang hängt davon ab, wer ins Weiße Haus einziehen wird und ob die Republikaner weiterhin beide Häuser im Kongress kontrollieren werden. Präsident Bush, so kündigte sein Energieminister bereits an, wird mit aller Macht versuchen, das Projekt zum Abschluss zu bringen. Sollte John Kerry gewinnen, droht dem Projekt das vorläufige Aus.

Kerry, der die Pläne kritisiert, buhlt um die Stimmen der Wähler im „Swing State“ Nevada, den Bush vor vier Jahren knapp gewann. Die überwiegende Mehrheit der Einwohner lehnt das Atomendlager ab und fühlt sich von der Regierung in Washington verraten und verkauft. Sollten sie also für Kerry stimmen, stünde dieser im Falle eines Wahlsieges in einer Bringschuld.

Das Entsorgungsproblem bliebe damit jedoch weiterhin ungelöst. Es wird noch dadurch erschwert, dass es zum Yucca-Berg derzeit keine Alternative gibt. Denn der Kongressbeschluss zum zentralen Endlager sieht keinen Ausweichstandort vor. Jede Verzögerung oder die endgültige Aufgabe des Projektes würden die Bundesstaaten, in den sich die Zwischenlager befinden, dazu zwingen, mit dem wachsenden Atommüllberg vorerst allein fertig zu werden.

Angesichts dessen, einer 20-jährigen Vorbereitungszeit, Kosten von neun Milliarden Dollar und der Verpflichtung der Bundesregierung, dieses Problem zu lösen, fordern pragmatisch gesinnte Kommentatoren, am Yucca-Endlager festzuhalten. Der Kongress solle jedoch die nötigen Finanzmittel bereitstellen, um Sicherheitsmängel zu beseitigen und einen größtmöglichen Schutz zu gewährleisten.

Umweltschützer und kritische Wissenschaftler hingegen bleiben bei ihrem rigorosen Nein. Ihr Hauptargument lautet, dass der für das Lager vorgesehene Gebirgszug tektonisch instabil und daher für das Vorhaben ungeeignet sei. Sie wollen, dass für den radioaktiven Abfall ein neuer Entlager-Standort gefunden wird. MICHAEL STRECK