ADRIENNE WOLTERSDORF ÜBER OVERSEAS : Räkeln, quatschen, feixen
So arbeitet sich Amerika aus der Krise raus – aber nur, wenn einer guckt! Ein aufschlussreicher Blick in die Büros
Da reden wir hier in der USA ständig davon, wie alles gerettet werden muss. Dass die Unternehmen fieberhaft darauf warten, dass ihnen Vater Staat, besser gesagt Onkel Sam, die Hand reicht, mit einem green back, einer Dollarnote darin. Und man stellt sich vor, dass, sobald man sie nur lässt, die unbändige amerikanische Wirtschaftskraft gar nicht anders kann, als produktiv ihre Ketten zu sprengen.
Ja, so sind die Fantasien, wenn hier alle davon reden, dass die Regierung nur endlich den Hebel finden muss, wie man die verkeilten Kreditmärkte wieder aufbricht, das viele Geld darin befreit und es hinaus in die Welt der Arbeit strömen lässt. Wie diese urwüchsige Schaffenskraft aussieht, das zeigt ein Besuch in einem der Myriaden real existierenden amerikanischen Büros, in denen die Dienstleistungsgesellschaft den Mehrwert erschafft, der diese Größte aller Volkswirtschaften nährt.
Neulich war ich, denn es ist gerade der Vorfrühling der US-Fiskushochsaison, bei meinem Steuerberater. Über Nacht hatte es geschneit, und die Straßen und Bürgersteige waren spiegelglatt. Vor dem Büro meines Steuerberaters musste ich fast auf allen Vieren die krummen Stufen hinaufklettern. Tssst, dachte ich, wo sie sonst in diesem Land selbst in staubtrockenen Hotelfoyers das „Frisch gewischt“-Schild aufstellen, aus Angst, von einem Ausrutschenden verklagt zu werden.
Als ich dem Empfang meines Steuerberaters sage, vor ihrer Tür sei es ganz schön glatt, lächelt dort ein freundlicher John, der sich aber sogleich wieder seiner Computertastatur widmet. Ich schaue, während ich warte und warte, in die hinteren Büroräume, wo die Angestellten auf ihren Sesseln herumräkeln, quatschen, feixen und völlig unbekümmert die Telefone ignoriern. Irgendwann nimmt ein Mike mal ab, sagt äußerst dienstbeflissen in den Hörer: „Ich bin sofort für Sie da, warten Sie bitte eine Sekunde, ich habe nur noch zwei weitere Kunden in den Leitungen, danke sehr.“ Dann drückt Mike auf einen Knopf und räkelt weiter, quatscht mit seinem Gegenüber, holt sich einen Kaffee.
Plötzlich knarrt die Tür des Chefzimmers. Heraus kommt der rotgesichtige Boss gebraust, der noch bevor er in den Bürotrakt blicken kann, schnauzt: „Wer hat diese Steuermappe bearbeitet, hier ist ein Rechenfehler bei Position vier!“ Die Mikes des Büros waren in derselben Nanosekunde in ihren Bürostühlen aufgeschossen, rissen die Telefonhörer an sich oder tippten konzentriert und sahen plötzlich aus, als hätten sie ununterbrochen emsig gearbeitet. Der Chef poltert, will den Schuldigen finden, kreischt, ein anderer Mike eilt herbei, nimmt ihm die Kladde ab und verspricht, alles sofort zu korrigieren. Der Chef braust ab, die Eichentür zum Konferenzzimmer kracht ins Schloss. Die Büromannschaft nimmt wieder Haltung an, räkelt sich, feixt und bedauert denjenigen, der sich der Arbeit nun wohl oder übel annehmen muss. Ich nehme an, er ist der Neue, die anderen kenne ich schon von eben jener Szenerie aus den Vorjahren.
„My job sucks – Mein Job kotzt mich an.“ Das ist ein Satz, der in den USA so häufig zu hören ist, wie bei uns die Beschwerde über den Staat. Und so, wie man uns zu Hause deutlich ansieht, wie wir unsere Regierung finden, so gucken hier die Angestellten – wenn der Boss gerade nicht da ist. „Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich diesen Heulern Beine machen soll“, klagt mein Bekannter.
Er ist Rechtsanwalt, vor Jahren aus Äthiopien eingewandert, und will hier in den USA eine Karriere im Verlagswesen starten. Obwohl er erst vor kurzem bei einem Universitätsbuchversand angefangen hat, ist er dort schon Abteilungsleiter für Jurabücher geworden. Aber mit seiner Abteilung kann er keinen Staat machen. Kaum verlässt er den Raum, hören seine Subalternen mit der Arbeit auf. Kommt er zurückgestürmt, sehen alle in ihren Arbeitswaben aus wie …
Äh, hallo Onkel Sam? Hallooo? Was, gar nicht da? Na, dann können wir hier in der Krise ja ruhig erst mal Kaffeeklatsch machen. Denn mal im Ernst, diese Rezession, die ödet schon ganz schön an.
ADRIENNE WOLTERSDORFOVERSEAS
Lustlos im Job? kolumne@taz.de Morgen: K.-P. Klingenschmitt ÄLTERWERDEN