: „Permanent lebt dort niemand“
Interview DOMINIC JOHNSON
taz: Herr Klute, können die Verhandlungen mit den Entführern der Touristen im Norden Malis eine friedliche Lösung des Geiseldramas bringen?
Georg Klute: Ich glaube, dass eine Verhandlungslösung möglich ist, weil der Tuareg-Unterhändler Iyad ag Ghali den Geiselnehmern deutlich machen wird, wie kompliziert ihre Lage ist. Er wird ihnen deutlich machen, dass ein Ausweichen nach Algerien schwierig ist und ein Verbleib im Norden Malis auch.
Was ist die Region um Taoudenni, wo die Geiseln vermutet werden, denn für eine Gegend?
Taoudenni ist Vollwüste, eine der heißesten Gegenden der Erde. Es ist eine Wüste, in der Meereswasser eingetrocknet und zu Steinsalz geworden ist. Selbst das Wasser dort ist mit Natron versetzt. Die Gegend besteht aus Dünen und Sand und ist sehr schwer zugänglich, auch für Autos. Permanent lebt da niemand. Es gibt dort Leute, die als Arbeiter in die Salzminen von Taoudenni gebracht wurden, manchmal kommen auch Kameltransporteure, gelegentlich Touristen und Militärs. Zuweilen wandern Nomaden bis dorthin. Es ist eine äußerst unwirtliche Gegend, gerade auch für die Geiseln.
Was würde passieren, wenn Algeriens Armee dort militärisch eingreifen würde?
Für Algeriens Armee ist das sehr schwierig. Die Entführer sind ja eine Gruppe von weniger als 100 Menschen. Um sie zu belagern und einen großen Ring zu ziehen, damit sie nicht entweichen, müsste Algerien ein Mehrfaches an Soldaten einsetzen. In dieser Gegend braucht man zur jetzigen Jahreszeit mindestens zehn Liter Wasser pro Tag und Person, also muss man Tanklastwagen einsetzen, dazu Luftaufklärung.
Ist das der Grund, warum die Regierungen von Deutschland und Mali zur Vermittlung mit den Geiselnehmern auf einen Führer der Tuareg setzen, die in der Wüste beheimatet sind?
Es gibt für die Wahl des Tuareg-Führers Iyad ag Ghali einen sehr guten Grund: Iyad ist ein ausgezeichneter Militärführer. Er wurde in Libyens Islamischer Legion ausgebildet und hat lange Jahre Kampferfahrung als Tuareg-Rebellenführer hinter sich. Wenn er die Verstecke der Geiselnehmer sieht und besucht, hat das einen größeren Stellenwert, als wenn es ein Diplomat tun würde. Er könnte Pläne machen für eine militärische Befreiungsaktion. Der zweite Grund, warum Iyad eine gute Wahl ist, ist sein Renommee. Im ersten Jahr, als er die Tuaregmilizen in Mali führte, hat er nie Niederlagen erlitten – trotz krasser Unterlegenheit bei Menschen und Material. Schließlich hat er sich sehr strikt an die Friedensvereinbarungen mit Malis Regierung 1991 und 1992 gehalten und sich nicht gescheut, die Friedensverträge gegen Mitglieder der eigenen Gruppen mit Gewalt durchzusetzen.
Die Heimatregion des Vermittlers, Kidal im Nordosten Malis, soll ja das Gebiet sein, in das die Geiseln zuerst gebracht wurden, als man sie aus Südalgerien wegbrachte. Gibt es dort rebellierende Tuareg?
Nein, es gibt zur Zeit niemanden, der sich als Führungspersönlichkeit in dieser Hinsicht profilieren würde. Ein großes Problem der Region wird aber unterschätzt: Die Rückkehr von tausenden Migranten aus Algerien, das große ökonomische und politische Probleme hat, ähnlich wie Libyen, obwohl sich Libyen ein bisschen erholt. Die Bevölkerungszahl von Kidal ist von 35.000 vor der Rebellion Anfang der 90er-Jahre auf 80.000 gestiegen. Das bedeutet, dass ein Großteil der Bevölkerung ohne Arbeit ist. Sie kriegen ein wenig Entwicklungshilfe und leben natürlich vom Schmuggel, und man kann sich vorstellen, dass Radikale hier Anklang finden könnten.
Man hat als Chef der Entführer Mokhtar Belmokhtar genannt, ein bekannter Schmuggler zwischen Algerien und Mali. Was hat er für eine Stellung?
Belmokhtar hat einen Ruf als Wüsten-Robin-Hood. Er gewann Einfluss, als Algerien begann, den Ort Ouargala stärker zu beobachten, Endpunkt des Schmuggelhandels der Tuareg auf algerischem Gebiet. Weil er die Gegend sehr gut kannte, übernahm er den Schmuggel schon im Vorfeld von Ouargala. Er hat sich eine Stellung gesichert und sich der Bevölkerung gegenüber sehr zurückgehalten, Distanz gewahrt und Übergriffe vermieden nach dem Motto: Man tötet nicht die Kuh, die man melken will. Also hat er einen sehr guten Ruf.
Gibt es eine Ausbreitung des radikalen Islam?
In allerjüngster Zeit hat es im Norden Malis islamische Missionierungsbestrebungen der so genannten Dawa gegeben, ausgehend von Pakistan und Nordindien, einem der großen sekundären Zentren der islamischen Welt. Ihre Missionare haben im Norden Malis eine fundamentalistische Ausrichtung des Islam gepredigt, aber nicht zu Gewalt aufgerufen, sondern zur möglichst wortgetreuen Befolgung der Regeln des Koran. Diese Leute hatten gewisse Erfolge.
Also hat Ausbreitung von Islamismus nicht unbedingt mit Gewaltbereitschaft zu tun?
Jedenfalls nicht öffentlich in dieser Region. Es gab sogar Widerstand von traditionellen Geistlichen der Tuareg, die eher orientiert sind an islamischen Sufi-Bruderschaften, den so genannten Qadiriya. Sie haben gemerkt, dass die neuen Bewegungen nichts mit dem Sufitum zu tun haben, sondern dieses ablehnt.
Von den USA wird die Region als gefährlich eingestuft, man vermutet Verbindungen zu al-Qaida. Ist das Panikmache?
Al-Qaida würde im Norden von Mali und Niger bei den Tuareg auf Ablehnung stoßen. Die lehnen diese Art terroristischer Akte deutlich ab, und ich denke, dass das für weite Teile der islamischen Welt zutrifft. Das Problem ist ein anderes: Wir haben es hier zunehmend mit Räumen zu tun, die von niemandem mehr kontrolliert werden, weil die Staaten, die sich diesen Raum teilen, schwach geworden sind. Algerien hat sehr viele eigene Probleme und kann die Grenze nicht mehr so kontrollieren wie früher, ähnlich Mali und Niger. Außerdem sind die technischen Mittel, große Entfernungen zu überwinden, demokratisiert und verallgemeinert worden. Mit Geländewagen, Satellitentelefonen und Funk kann man Schmuggel betreiben, ohne einen einzigen Zöllner oder Grenzpolizisten zu sehen. Das Problem liegt in der Kombination von technischer Entwicklung und Schwäche der Staaten.
Wie verhalten sich die Deutschen? Sie haben ja Sicherheitspersonal nach Mali geschickt.
Es war die Rede davon, dass die GSG-9 oder andere Spezialkräfte bei der Geiselbefreiung dabei sein sollten. Aber das Wichtigste ist der diplomatische Weg. Deutschland hat noch immer sehr gute Kontakte zu Mali. Der jetzige Afrikabeauftragte im Auswärtigen Amt, Harro Adt, war Botschafter in Mali während der Tuareg-Rebellion; sein Nachfolger war Karl Prinz, jetzt im Auswärtigen Amt für West- und Zentralafrika zuständig. Das heißt, dass das Auswärtige Amt sehr gute Leute für dieses Thema hat, mit sehr guten Kontakten. Sie werden darauf drängen, dass weder Algerien noch Mali Schritte unternehmen, die das Leben der Geiseln unmittelbar gefährden.