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Archiv-Artikel

Nur der See ist blau, so blau

Es gibt Weine zum Pinkeln, und es gibt den Chasselas. An den Weinhängen des Waadtlands reift trockener, gewichtiger Wein. Nur schade, dass ihn die Weinbauern fast ausschließlich selbst trinken. Eine Wein-Wandertour an den Hängen des Genfer Sees

von KORNELIA STINN

Die Schweizer hüten ihren Wein fast so wie ihr Bankgeheimnis. Man muss schon ins Waadtland fahren, um auf seine Kosten zu kommen. Alles Käse in der Schweiz? Mitnichten. Weinbergterrassen schwingen sich wellenförmig bis an das Ufer des Genfer Sees. Auf den Weinhängen des Waadtlands reifen die Trauben des fruchtigen, goldfarbenen Chasselas. Ein trockener, gewichtiger Wein, den wir vom ersten Schluck an lieben.

Wir wandern von Pinte zu Pinte, von Caveau zu Caveau durch die Rebberge von Lavaux inmitten des französischsprachigen Kantons der Westschweiz. Die Grenzen der drei Waadtländer Weinbaugebiete La Côte, Lavaux und Chablais sind fließend. Für Weinfreunde sowieso. Ein Hauch von „bouquet délicat“ liegt in der Luft. Leichter Dunst hängt in den Reben. Doch der Kopf ist klar. Und das nach einer Nacht im Weinbergdorf Grandvaux, im Relais de la Poste mit Weinberg-Panoramablick. Ein bacchantisches Vergnügen zu geräucherten Fischen aus dem Genfer See.

Doch nur das Wasser des Sees war blau, so blau. Noch nie haben wir bei so viel Wein einen solch klaren Kopf behalten. Wie schade, dass die Waadtländer ihren Wein zu 98 Prozent selbst trinken. Auch Maître Conne in Chexbres, Herr über elf Hektar Weinland, hütet seine Weinkellergeschichten wie das Bankgeheimnis. Schon der Großvater lebte vom Wein allein. Unter dicken Gewölben lagert in uralten Eichenfässern Pinot Noir. „Es gibt Weine zum Pinkeln und Weine zum Essen“, witzelt der Winzer und kredenzt seinen Favoriten, einen rassigen St. Saphorin von 2000. „Ein hervorragendes Jahr, beinahe so gut wie 1947.“

Hier gedeihen die bekanntesten Weißweine der Schweiz: St. Saphorin, Epesses, Villette sind nicht nur bekannte Marken, sondern auch stimmungsvolle Weindörfer mit Blick auf den Genfer See und die Savoyer Alpen. Vor allem der Chasselas ist im Waadtland Kult und Kultur. Er lässt nur wenig Platz für Chardonnay, Aligoté und Gewürztraminer. Gamay, Pinot-Noir- und Pinot-Gamay-Weine sind die roten Renner. Das rund 3.870 Hektar große Weingebiet der Waadt erstreckt sich über Genf und das Rhonetal.

In Bonvillars nahe dem Neuenburger See reift die Traube des spritzigen Weißen auf kalkigem Boden; die Rotweine aus Pinot und Gamay sind rund und harmonisch. La Côte, zwischen Genf und Lausanne, besichtigen wir vom Dampfer aus. Die Schiffssirene heult auf, die Möwen kreischen. Wir lassen bei Wein zu frittiertem Käseteig gemütlich die Weinbergschlösschen am Ufer vorüberziehen. Von den 42 Schlössern des Kantons findet man 32 in der La Côte. Der diskrete Charme dieser Gegend prägt auch den Charakter der hiesigen Weine. Lange standen sie im Schatten des benachbarten Lavaux mit seinen renommierten Lagen Lutry, Villette, Espesses, St. Saphorin oder Chardonne.

In Montreux steigen wir vom Schiff in den Bus. Auf der Autobahn zeigt sich die Landschaft von ihrer grandiosen Seite. Unter uns der See, der die Zinnen von Schloss Chillon spiegelt. Hier trank einst einer nur Wasser statt Wein. Lord Byron hat die traurige Geschichte des Gefangenen von Chillon in einem langen Gedicht besungen. Vor uns die Alpen und die Mündung der Rhone.

Die Weinberge von Chablais liegen am rechten Ufer, auf der vom Föhn gestreichelten Sonnenseite. Inmitten der Trauben von Aigle spielt der Wind fröhlich mit der Schweizer Fahne auf der „Zitadelle der Rebe und des Weins“, einem Museum über das raue Leben der Winzer im 19. Jahrhundert. Wir trinken bis zum Sonnenuntergang an den Kirschholztischen der Pinte du Paradis wieder herrlichen Chasselas. Zu Waadtländer Brioche und Hüttenkäse.

Tipp: Für Wanderungen durch das Waadtland gibt es detaillierte Weinberg-Wanderführer Info: www.MySwitzerland.com oder www.Schweiz.de