: Ein Pärchen in einem Nachtlokal
Auf der Suche nach der verlorenen Unschuld: Lothar Lambert wird 60 und sein Film „1 Berlin-Harlem“ wiederaufgeführt. Mit seinen Filmen veränderte sich die Bedeutung des Pornografischen auf der Leinwand
Am kommenden Samstag wird der Berliner Journalist, Maler (von 700 Bilder in drei Jahren) und Filmemacher Lothar Lambert 60. Seit dreißig Jahren macht er seine Undergroundfilme; mit ganz kleinem Budget, geringem Aufwand, vor allem mit Laiendarstellern und meist ohne Drehbuch, verfilmt er das, was ihm begegnet, und auch die, die ihm begegnen.
Seine Geschichten sind oft von brechtscher Einfachheit. Auch oder gerade vielleicht weil er „nie besonders interessiert war an den 68er-Sachen“, wie er selbst es ausdrückte, und sich immer mehr für konkrete, meist einfache Leute und Außenseiter als für die Politik begeisterte, sind seine Filme von dem Anspruch der subkulturell orientierten 68er geprägt. Wie kaum ein anderer hält er jedenfalls an der Utopie der Nichttrennung zwischen Privatem und Öffentlichen, zwischen Leben, Kunst und Emanzipation fest und ermutigt seine großartigen Laiendarsteller, sich in ihren Sehnsüchten nach diesem diffusen Mehr an Leben darzustellen, und macht auch immer selber mit.
Mittlerweile hat Lothar Lambert ungefähr dreißig Filme gedreht. Seine Filme aus den 70er-Jahren sind teils ungewohnt sexuell realistisch, teils sozialkritisch und passen trotz allem, was ihn von Wenders, Praunheim, Achternbusch oder Fassbinder unterscheidet, ganz gut ins Bild des Post-68er-Autorenfilms. Die Lambert-Filme der frühen 80er-Jahre – „Alptraumfrau“, „Fräulein Berlin“ oder „Fucking City“ – wirken pornografisch-existenziell. Der einzige Film mit Normalbudget – „Paso Doble“ – scheiterte am Ku’damm. Danach wurden die Filme ruhiger, der Humor wurde wärmer, die Darsteller älter. Kleine seltsame Geschichten standen neben sehr eigenen Dokumentationen, wie dem Porträtfilm „Ich bin, Gott sei Dank, beim Film“ über die 80-jährige Schauspielerin Eva Ebner.
Vieles hat sich verändert. Manche aus der Lambert-Family sind mittlerweile gestorben, andere – Dagmar Beiersdorf – haben sich aus dem Filmgeschäft zurückgezogen oder entfernten sich; manche sind geblieben, einige (Nilgün Taifun, Erika Rabau, Michael Sittner) hinzugekommen und „Hans Marquart ist Kulturchef bei der BZ und traut sich wohl nicht mehr, in solchen Filmen aufzutreten“, wie die Siegessäule schreibt.
Anlässlich seines 60sten Geburtstags kommt nun eine renovierte Version des Lambert-Klassikers „1 Berlin-Harlem“ (1974) in die Kinos, der irgendwann auch in die Filmsammlung des „Museum of Modern Art“ in New York aufgenommen wurde. Lamberts dritter, noch zusammen mit Wolfgang Zobus gedrehter Film erzählt die Geschichte eines schönen, schwarzen GIs in Berlin. Seine Beziehungen gehen daneben, die einen lehnen ihn aus Rassismus ab, die anderen sehen in ihm vor allem ein Sexobjekt. Der Weg führt nach unten und am Ende verschwindet er. Der Schwarzweißfilm ist straight erzählt; die Liste der Schauspieler liest sich wie ein Who’s who des deutschen Autorenfilms: Fassbinder, Ingrid Caven, Evelyn Künneke, Brigitte Mira, Günter Kaufmann und Dietmar Kracht, der wenig später während der Dreharbeiten zu Rosa von Praunheims „Berliner Bettwurst“ im Grunewaldsee ertrank.
Einerseits wirkt „1 Berlin-Harlem“ didaktisch – was auch an Zobus liegt, der 68 „volle Pulle dabei war“ –, andererseits auch ein wenig melancholisch, wie die frühen Wenders-Fime etwa. Skandal erregte der Film wegen expliziter Sexszenen, die nie aufgesetzt, sondern eher befreiend wirken, wie Lambert als junger Mann da dem Helden einen bläst oder ein Pärchen in einem Nachtlokal Sex auf der Bühne macht und so. Auf der Seite der Befreiung schien der Sex irgendwie noch unschuldig zu sein.
Beeindruckend ist auch die Lambert-spezifische Mischung aus Antirassismus und Humor. In einer Szene sucht der GI ein Zimmer. Als die potenzielle Vermieterin sieht, dass er schwarz ist, sagt sie, sie hätte das Zimmer schon vermietet, geht zurück in den Garten, wo die Familie sitzt, und sagt empört: „Das ist ja gar kein richtiger Amerikaner, sondern ein Neger!“ Die kleine Tochter springt dann auf, ruft neugierig: „Ich will den Neger sehn“, und wird von der Mutter zurückgehalten. Dann findet am Familientisch ein aufklärerischer Prozess statt – der Mann sagt: „Aber gegen Harry Belafonte hast du doch auch nichts“, und die Frau antwortet: „Aber der will ja auch nicht bei uns wohnen.“ Es gibt mehrere solcher Szenen, die im tendenziell Guten enden, auch wenn der Film, der zum Besten gehört, was in den 70er-Jahren gedreht wurde, eher traurig ist. Allein schon wegen der dokumentarischen Bilder aus dem untergegangenen Westberlin sollte man sich „1 Berlin-Harlem“ unbedingt anschauen.
DETLEF KUHLBRODT
„1 Berlin-Harlem“, Kino in der Brotfabrik, bis 28. Juli, 20 Uhr