: Ein großes persönliches Opfer für Deutschland
Wenn mächtige Konzernmanager ihre Bezüge kürzen, wollen sie damit sagen: Hey, Leute, wir sind doch genau wie ihr
Deutschlands Manager: Viele von ihnen, so erleben es Arbeitnehmer in diesen Tagen überrascht, sind gar nicht die fiesen Typen, für die man sie immer hält, sondern empfindsame Menschen, die ihren Mitarbeitern an verregneten Sommertagen auch schon mal ein Eis spendieren. Die Führungskräfte reagieren damit auf die gegenwärtige Debatte um die Höhe ihrer Bezüge, für die die meisten von ihnen in Zeiten von Lohn- und Sozialkürzungen vollstes Verständnis haben: „Es bringt doch nichts, Leuten Einschnitte zuzumuten, die überhaupt nichts haben“, sagt zum Beispiel VW-Vorstandsvorsitzender Bernd Pischetsrieder. „Da spart man doch gar nichts. Wenn dagegen ein gewisser Herr Kollege auf seine wöchentliche Pediküre auf den Cayman-Inseln verzichten würde, könnten wir von dem Geld zwei zusätzliche Vollzeitkräfte und 40 unbezahlte Praktikanten einstellen.“
Die Einsicht kommt spät, aber nicht zu spät. Zu Herzen genommen haben sich die Topmanager vor allem den zentralen Kritikpunkt: dass ihre Gehälter in keiner vernünftigen Beziehung zur erbrachten Leistung stehen. „Mich hat das sehr nachdenklich gemacht“, gibt zum Beispiel DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp unumwunden zu. „Was um alles in der Welt leiste ich schon! Ich gehe genauso zur Arbeit wie andere auch – um Kaffee zu trinken, mit den Bürokräften zu schäkern und umsonst im Internet zu surfen.“
Seinen Kollegen und sich selbst hat Schrempp deshalb sofort einen zehnprozentigen Einkommensverzicht und vier Stunden wöchentlicher Mehrarbeit verordnet. Anderen ist das noch nicht genug: „Es muss schon richtig wehtun“, sagt der Chef eines großen Mischkonzerns, der seinen Namen aus Scham nicht gedruckt sehen möchte. „Wenn die von uns beschlossenen Kürzungen wirksam werden, werde ich zwei meiner vier Butler rauswerfen und mit den anderen in eine Sozialwohnung ziehen. Wollen Sie ein Eis?“
Dass es nicht damit getan ist, sein Gehalt vom 700fachen eines Facharbeiterlohns einfach auf das 500fache hinabzuschrauben, wissen Deutschlands Konzernchefs allerdings auch. Neben dem Gehaltsverzicht bieten die meisten von ihnen deshalb auch einen Abbau ihrer Privilegien an. „Warum zum Beispiel“, fragt Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, „soll ich in jeder Diskussion immer Recht behalten dürfen? Ich könnte mir ja von meinem Privatgeld mal ein paar gute Argumente kaufen. Und wenn ich meinen Diensthubschrauber sowieso kaum nutze – warum sollen mich meine Mitarbeiter am Wochenende nicht mal am Dienstpool besuchen kommen?“
Bei Deutschlands traditionsreichem Vorzeigekonzern Siemens geht man schließlich noch ein Stück weiter: Um ein Zeichen zu setzen, werden die Vorstandsbüros gerade aus den oberen Etagen ins Parterre verlegt. „Wir Manager wollen unsere dienende Funktion herausstreichen“, so Siemens-Chef Heinrich von Pierer. „Wenn Not am Mann ist, sollen sich Vorstandsmitglieder in Zukunft auch mal ein Stündchen in die Pförtnerloge setzen oder die Eingangshalle schrubben.“
Bei den Mitarbeitern stoßen solche Entscheidungen selbstverständlich auf Beifall. Unter Experten sind die neuen Sitten im Management allerdings nicht unumstritten: „Für viele aus der heutigen Generation von Führungskräften“, so Professor Peter Neberding von der Privatuniversität Witten-Herdecke kritisch, „zählen nur noch Ideale. Früher wurden die besten von ihnen noch vom Streben nach Ausbeutung und Selbstbereicherung geleitet, wenigstens heimlich. Heute sind Spitzenmanager meist die Ersten, die Fehler eingestehen und mit liebevoll garnierten Eisbechern für ein gutes Betriebsklima sorgen.“ Was als Zukunftsmodell selbst von amerikanischen Konzernchefs neidisch bestaunt wird, hat nach Auffassung von Unternehmensberatern fatale Auswirkungen auf die Unternehmenskultur: Bewerber mit Ellenbogen und Biss meiden mehr und mehr die Privatwirtschaft, wandern in den öffentlichen Dienst ab.
Yvonne H. kann davon ein Lied singen: „Unser neuer Vorstandsvorsitzender lieh sich mittags beim Essengehen immer Geld von uns“, so die ehemalige Versicherungskauffrau aus München, „nicht nur für das Eis zum Nachtisch, sondern auch für sein eigenes Menü. Erst nach zwei Monaten fanden wir heraus, dass er einfach zu schüchtern gewesen war, nach einem Gehalt zu fragen.“
Da war es aber schon zu spät: Große Teile des Betriebsvermögens waren unter der Hand an Terre des Hommes und ans Rote Kreuz verschenkt worden. Das Unternehmen musste Konkurs anmelden.
MARK-STEFAN TIETZE