EU-Kommission mit neuer Spitze

EU-Parlament wählt Durao Barroso zum Präsidenten der Kommission. Die Mehrheit der Sozialisten, alle Grünen und Linken stimmen gegen den Portugiesen. Der sieht sich als Brückenbauer und will eine gemeinsame außenpolitische Vision entwickeln

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Als es richtig spannend wurde gestern im Europaparlament, war die Hauptperson nicht aufzufinden. Die Sitzung musste unterbrochen werden, bis Durao Barroso in den Saal zurückgekehrt war und der Parlamentspräsident das Wahlergebnis verkünden konnte: 413 Ja-Stimmen, 251 Ablehnungen, 44 Enthaltungen. Der Kandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten hatte die langen Tage der intensiven Befragungen mit unermüdlichem Lächeln durchgestanden. Als sich gestern abzeichnete, dass die Mehrheit der Sozialisten, alle Grünen und die Linken ihn ablehnen würden, war der verbindliche Gesichtsausdruck weggewischt. Vor dem Plenum saß ein Mann, der einen Augenblick lang für alle sichtbar um seine politische Zukunft bangte.

Die große Koalition vom Dienstag, wo sich Sozialisten und Konservative im ersten Wahlgang reibungslos auf einen Parlamentspräsidenten geeinigt hatten, war nach zwei Tagen zerbrochen. Spätestens gestern wurde klar, dass die Allianz der deutschen Fraktionschefs Hans-Gert Pöttering (Konservative) und Martin Schulz (Sozialisten) bei den kleineren Fraktionen nicht gut ankommt. Manchem mag es kalt über den Rücken gelaufen sein, als Graham Watson, der britische Chef der Liberalen, seine Schlussbemerkungen vor der Wahl Barrosos auf Deutsch begann: „Im Zeitgeist des neuen teutonischen Stils werde ich einige Worte in der Sprache Goethes abgeben. Herr Pöttering, Sie haben Ihr Bett gemacht, jetzt müssen Sie darin liegen.“

Watson spielte darauf an, dass die Konservativen den Sozialisten Borrell als Parlamentspräsidenten unterstützt und den liberalen Bronisław Geremek hatten durchfallen lassen. Im Gegenzug rechneten sie mit den sozialistischen Stimmen für Durao Barroso, ihren Kandidaten für den Kommissionsvorsitz.

Doch Martin Schulz machte klar, dass die Mehrheit der Sozialisten Barroso ablehnen werde: „Sind Sie der Mann, der gegenüber anderen Mächten die Europäische Union auf Augenhöhe bringen kann? Für die meisten von uns bleiben Sie der Initiator des Azorengipfels.“

Dass Barroso als portugiesischer Premier den Irakkrieg unterstützt hatte, nahmen ihm viele Abgeordnete übel. Grünen-Chef Daniel Cohn-Bendit sagte, der Kandidat agiere wie ein Chamäleon und lasse sich auf keine Position festlegen. Er habe kein Mal erkennen lassen, dass er seine Entscheidung von damals aus heutiger Sicht bedauere.

Auch bei anderen Schlüsselfragen wechselte der Portugiese die Farbe – je nach politischer Präferenz seiner Gesprächspartner. Türkeibeitritt? Korruptionsbekämpfung? Finanzhilfen für die neuen Beitrittsländer? Fairer Handel? Zulassung von genveränderten Produkten? Änderung des Stabilitätspaktes? Der Kandidat blieb stets verständnisvoll, lächelnd, redegewandt – und völlig unverbindlich. Nur beim Reizthema Superkommissar, das Deutschland vor Wochen voreilig ins Spiel gebracht hatte, bekannte er Farbe: „Unter meiner Führung wird es nicht einen Superkommissar geben, sondern 24 Superkommissare“ – eine klare Absage an die deutsch-französische Forderung, einen besonders mächtigen Verantwortlichen für Wirtschaftsfragen in der Kommission zu installieren.

Mit dieser Festlegung sicherte sich Barroso die 88 Stimmen der neuen liberaldemokratischen Fraktion, vergrätzte aber die deutschen Sozialdemokraten, da er indirekt Kanzler Schröder auf die Zehen trat. Das Dilemma, alle in dieser diffusen Runde unterschiedlicher politischer Anliegen gleichermaßen umwerben zu müssen, fasste Barroso am Beispiel Irakpolitik so in Worte: „Ich werde versuchen, mit allen Mitgliedsländern gemeinsam eine außenpolitische Vision zu entwickeln. Das ist nicht einfach – es gibt sie ja nicht einmal in den Fraktionen dieses Hauses.“

Er begreife sich als Brückenbauer, sagte Barroso nach der Wahl. Links und rechts seien nicht die politischen Dimensionen, nach denen Europa funktionieren könne. Die politischen Kräfte müssten zusammenarbeiten, um Wohlstand, Solidarität und Sicherheit für alle voranzubringen. Nach dieser ersten Sitzungswoche des Parlaments zeichnet sich ab, dass Brückenbauer gebraucht werden. Denn das neu gewählte bunte Parlamentsvölkchen wird sich schwer tun, eine mehrheitsfähige Vision für Europa zu entwickeln.