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Archiv-Artikel

Eine Marianne unterwirft sich nicht

Selbstbewusste Französinnen aus Afrika und dem Maghreb – Symbolfiguren gegen Unterdrückung in den Einwanderervierteln wie Samira Bellil

von KATRIN SCHNEIDER

Es ist die Geschichte eines von Gewalt geprägten Lebens in einem der Vororte von Paris, in denen fast nur noch maghrebinische und schwarzafrikanische Einwanderer wohnen. Die Lebensgeschichte der 29-jährigen Samira Bellil, Tochter algerischer Migranten. Ihr Buch mit dem Titel „Durch die Hölle der Gewalt“ wurde nun auch auf Deutsch veröffentlicht. Es stand letztes Jahr in Frankreich mehrere Wochen auf den Bestsellerlisten.

Samira Bellil wurde mit ihrer Lebensgeschichte zur Symbolfiguren einer neuen Bewegung, die nach einem Marsch durch verschiedene Städte mit einer Kundgebung in Paris zum Weltfrauentag ihren vorläufigen Höhepunkt fand. Unter dem Motto „Ni putes, ni soumises“ – Weder Hure noch Unterdrückte – machte Anfang des Jahres diese Bewegung in Frankreich auf die Gewalt gegen junge Frauen in französischen Vorstädten aufmerksam. Allzu oft müssen Frauen ihren Ausbruch aus traditionellen und religiös verbrämten repressiven Verhaltensmustern mit dem Verlust ihrer körperlichen Integrität und Würde bezahlen.

Genau dies erlebt Samira. Der Vater schlägt und beschimpft sie. Mit Beginn der Pubertät wird sie zum Problemkind, schwänzt die Schule, stiehlt, treibt sich auf der Straße herum, um der unerträglichen familiären Atmosphäre zu entfliehen. Sie verliebt sich in den Anführer einer Clique aus ihrem Viertel und geht mit ihm ins Bett. Bei den Jugendlichen des Viertels gilt sie von nun an als Schlampe, und im Alter von 14 wird sie von Mitgliedern der Clique ihres „Freundes“ mit dessen Einverständnis vergewaltigt.

„Tournantes“ – das Herumreichen von Mädchen, wie diese Gruppenvergewaltigungen im Slang der Vorstädte genannt werden – scheinen in einigen Vierteln zur alltäglichen Gewalt zu gehören. Sie sind Ausdruck eines brutalen Machismo von Halbstarken, die Frauen entweder als Heilige oder als Huren betrachten. Samira Bellil erlebt kurze Zeit später eine zweite Vergewaltigung und wird mit 16 Jahren im Urlaub am Strand von Algier schließlich ein drittes Mal vergewaltigt. Ihre Familie reagiert mit Beschimpfungen und Verachtung. Zwar unterstützen die Eltern Samira darin, gemeinsam mit anderen Opfern die Täter anzuzeigen, aber schließlich setzt der Vater sie vor die Tür. Samira Bellil lebt in den folgenden Jahren zum Teil auf der Straße, in der ständigen Angst vor Rache, sie quält sich mit Schuld- und Schamgefühlen und richtet die Gewalt, die sie erlebt hat, gnadenlos gegen andere, aber vor allem gegen sich selbst. Sie trinkt exzessiv, raucht und nimmt Drogen, um sich zu betäuben. Erst nach einer langen Psychotherapie ist Samira Bellil dreizehn Jahre später in der Lage, ihre Geschichte aufzuschreiben und dadurch ihre qualvollen Erlebnisse ein Stück weit zu verarbeiten.

Ihr Buch, geschrieben in der derben und unverblümten Sprache der Jugendlichen aus den Vorstädten, ist eine Anklage der Täter. Leider wirkt ihre derbe Sprache aus den Vorstädten oft unreflektiert und plakativ. Die Gewalt, auch ihre eigene, wird dem Leser nicht immer vermittelt, weil ihre Darstellung auf der Ebene sich wiederholender Phrasen bleibt.

Samira Bellil: „Durch die Hölle der Gewalt“. Pendo Verlag, Zürich 2003, 19,90 €