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Archiv-Artikel

Warten auf die Büffel-Bücher

Die Eigenbeteiligung beim Schulbuchkauf stellt Rektoren und Lehrer in Schulen mit hohem Migrationsanteil vor ungekannte Probleme. GEW: „Befürchtetes Chaos ist eingetreten“

von PLUTONIA PLARRE

Der Beginn des neuen Schuljahres konfrontiert Berlins Lehrerschaft mit ungekannten Problemen: Wie lange, fragt sich manch Schulleiter zurzeit bang, wird es dauern, bis auch der Letzte in der Klasse alle Unterrichtsmaterialien beisammenhat?

Die Einschränkung der Lernmittelfreiheit, wonach Eltern Schulbücher im Wert von bis zu 100 Euro selbst kaufen müssen, macht’s möglich: Die Vorbereitungen auf die Umstellung laufen zwar seit Wochen. Die Probleme kommen jedoch erst im Alltag zum Vorschein. Und der begann gestern. Während aus Gymnasien wie der Friedrich-List-Oberschule in Pankow positive Rückmeldungen kommen – „Es gibt überhaupt keine Schwierigkeiten“ –, raufen sich Leiter von Schulen mit hohem Migrationsanteil die Haare.

„In Schulen, die sich in sozialen Brennpunkten befinden, ist das nicht so einfach, wie Herr Böger sich das vorstellt“, sagt Inge Hirschmann. Trotz allem Ärger ist die Rektorin der Heinrich-Zille-Grundschule in Kreuzberg um moderate Kritik bemüht. Die Senatsverwaltung für Bildung hat es den Schulen freigestellt, bei der Bücherbeschaffung eigene Wege zu gehen. Die Zille-Grundschule gehört zu den Schulen, die den Bücherkauf kollektiv über den eigenen Schulverein abwickeln. Mehr als ein Drittel der Zille-Schüler kommen aber aus sozial benachteiligten Familien, die von der Einkaufspflicht befreit sind – sprich: Sie bekommen die Bücher kostenlos von der Schule, wenn sie einen entsprechenden Nachweis erbringen. Die Befreiung gilt für die Bezieher von Sozialhilfe, Wohngeld, Bafög und Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das Geld für die kostenlosen Bücher bekommen die Schulen wiederum vom Bezirksamt.

Und hier liegt das Problem: Da noch nicht alle Schulen in Friedrichshain und Kreuzberg die genaue Zahl ihrer bedürftigen Kinder an das Bezirksamt gemeldet haben, hat dieses den Schulen bislang nur einen Abschlag überwiesen. Die Folge: Die Zille-Schule, und nicht nur die, konnte noch nicht alle Bücher bestellen. „Das kann noch Wochen dauern“, befürchtet Inge Hirschmann. Einen Vorwurf möchte sie den anderen Schulen dennoch nicht machen. Sie kenne die Probleme genau. Insbesondere bei Migrantenfamilien müssten die Lehrer oftmals Druck machen, bis sie die Bescheinung beibringen.

Und es gibt noch eine weitere Unbekannte: die Eltern, die knapp über der Einkommensgrenze liegen, mehrere Kinder haben und nicht bereit oder in der Lage sind, pro Nase eine Bücherbeteiligung von rund 50 Euro zu zahlen. Was in solchen Fällen passiert, ist offen. In einem von der Senatsverwaltung für Bildung verschickten Rundschreiben ist lediglich festgelegt, dass ein Nachweis über die Befreiung vom Eigenanteil spätestens bis zum 18. September vorliegen muss. Wenn weder ein Nachweis noch die Eigenbeteiligung erbracht werde, kann das Bezirksamt gegen die Eltern ein Verwaltungszwangsverfahren einleiten.

Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) kommentierte den ersten Schultag gestern mit den Worten: „Das befürchtete Chaos ist eingetreten.“