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Archiv-Artikel

Neiddebatte um zu Gold gesponnene Gefühle

Mit Blick auf die Kosten der Geiselbefreiung wird die „Vollkasko-Mentalität“ von Urlaubern erörtert. Anlass bieten die Angehörigen der Opfer

BERLIN taz ■ Die 14 Sahara-Geiseln waren noch unterwegs zu dem Flugzeug, das sie heimbringen sollte, da forderten deutsche Politiker bereits, die Entführungsopfer für ihre Befreiung zahlen zu lassen. Der Vizevorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Wolfgang Bosbach, sagte: „Wer sich leichtfertig und um des Nervenkitzels willen in Gefahr bringt, muss auch damit rechnen, dass er an den Kosten für die Rettung beteiligt wird.“

Auch der Außenpolitiker der SPD-Fraktion Gert Weisskirchen erklärte gestern Morgen (der Zeitpunkt des Rückflugs war noch unklar): „Diejenigen, die heute zurückkommen werden – und wir freuen uns alle darüber –, werden auch einen eigenen Beitrag mit bezahlen müssen.“ Tags zuvor hatte schon FDP-Vize Rainer Brüderle das Thema der „Verantwortung“ von Urlaubern aufgeworfen. Der Begriff „Vollkaskomentalität“, sonst in Fragen des Sozialabbaus gebräuchlich, machte die Runde.

Anlass dafür, sich nicht über Wohl und Wehe, sondern über Schuld und Beitrag der Geiseln auszulassen, boten seit Montag unter anderem deren Angehörige. Andreas Mitko, 26, der Sohn des Entführten Witek Mitko aus Neusäß bei Augsburg, erklärte: „Erst wenn ich meinen Vater getroffen habe, werde ich Interviews geben – allerdings nur gegen Bezahlung.“ Alle Angehörigen wollten mit den Medien erst reden, wenn sie ihre Lieben wieder in Deutschland begrüßt hätten. Andreas Mitko selbst freilich verkündete schon gestern Nachmittag unter anderem, die Bundesregierung habe ihre Arbeit wohl ganz gut gemacht.

Grundsätzlich scheint es schwierig zu sein, Verbrechensopfern, die zu Popularität und dadurch auch zu Geld gelangen, ungetrübte Anteilnahme entgegenzubringen. Der Vorwurf, Gefühl zu Gold zu spinnen, richtet sich dabei meist gegen diejenigen, die einen Vertrag unterschreiben, der ihnen Bezahlung gegen Exklusivität garantiert – etwa als 2000 Dirk Wallert mit dem Fernsehsender Sat.1 die Entführung seiner Familie auf Jolo vermarktete.

Auch wenn etwa Ludger Volmer, Ex-Staatsminister im Auswärtigen Amt (AA), im Fall Wallert diese Verbindung herstellte – rechtlich hat das Öffentlichkeitsgeschäft nichts damit zu tun, ob und wie Deutsche, denen ihre Regierung im Ausland beisteht, für die Kosten aufkommen müssen. Hierfür gibt es das Konsulargesetz, wonach der Empfänger konsularischer Hilfe „zum Ersatz der Auslagen verpflichtet“ ist. In „Katastrophenfällen“ – gemeint sind freilich Revolutionen, Erdbeben und Ähnliches – kann jedoch „von der Geltendmachung der Ansprüche auf Auslagenersatz abgesehen werden“. Vollständige Kostenübernahme wird von den Geiseln jedoch nicht verlangt werden können. Familie Wallert etwa musste seinerzeit 6.581 Euro „erstatten“.

In ähnlicher Weise dürften auch die Ex-Sahara-Geiseln vom AA um eine Überweisung gebeten werden. Einen logischen Zusammenhang zwischen der Höhe der Summe und der Höhe des Risikos, das die Urlauber angeblich eingegangen sind, lässt sich dabei wiederum schwerlich herstellen. Die durchaus beliebten Jeeptouren durch die Wüste, teilte der Reiseverein „Sahara-Club“ gestern mit, hätten nichts mit Leichtsinn zu tun – „jeder Bungee-Sprung ist gefährlicher“, sagte der Vorsitzende Gunter Frenzel. Eine offizielle Reisewarnung des Auswärtigen Amts existierte für Algerien nicht. In „Reisehinweisen“ wurde ab Januar lediglich darauf hingewiesen, dass Schmuggler- und ähnliche Banden die Grenzen unsicher machten. Gleichwohl forderte auch der SPD-Fraktionsvize Gernot Erler gestern, man müsse Schadenersatzansprüche prüfen und untersuchen, ob die Sahara-Geiseln grob fahrlässig gehandelt hätten.

Der Außenminister jedenfalls mochte gestern weder über Urlaubsverantwortung noch über Kostenerstattung reden. Auf die Frage, wer für die Rückreise der Freigelassenen bezahle, erklärte Joschka Fischer: „Das ist kein Tag, an dem wir über solche Dinge sprechen.“

ULRIKE WINKELMANN