Babylonisches Sprachgewirr

Zwei Wochen lang richtet Oberhausen die „Multi 2004“ aus, zu der gestern 250 Jugendliche aus ganz Europa angereist sind. Es ist das bundesweit größte multilaterale Treffen auf lokaler Ebene

AUS OBERHAUSENNATALIE WIESMANN

In den Straßen von Oberhausen herrschen ab heute babylonische Verhältnisse: Die Revierstadt ist Gastgeberin der „Multi 2004“ – einem zweiwöchigem Treffen von 250 Jugendlichen aus ganz Europa. Während in den vergangenen Jahren junge Leute aus Oberhausen in die Partnerstädte Englands, Estlands, Finnlands, Israels, Sardiniens, Polens, der Türkei und der Ukraine reisten, sind gestern Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren in Oberhausen in Empfang genommen worden. Sie wohnen in Gastfamilien und bekommen von der Stadt und ehemaligen Austauschjugendlichen ein aufwändiges Programm geboten. „Das ist ein ganz dickes Ding“, sagt der städtische Koordinator Wolfgang Heitzer. Es sei bundesweit das größte multilaterale Treffen auf lokaler Ebene. Heitzer freut sich auf das „friedliche Miteinander“ der kommenden zwei Wochen.

Am Anfang stand die Partnerschaft mit der nordenglischen Stadt Middlesbrough, mit der die Revierkommune 1952 ihren ersten Jugendaustausch organisierte. Im Laufe der Zeit kamen Jerusalem und die ukrainische Stadt Saporoshje dazu. Seit 1992 richtet Oberhausen die „Multi“ alle zwei Jahre aus. Bezahlt wird das Ganze vom Bundes- und Landesjugendministerium und von mehreren Sponsoren. Die 24-jährige Claudia Terlinden gehört zu den 30 BetreuerInnen, die monatelang das Ereignis vorbereitet haben. „Vor fünf Jahren bin ich nach England mitgefahren und habe sofort Blut geleckt“, sagt die Studentin beim letzten Vortreffen der MultiplikatorInnen im Oberhausener Gasometer. Die Treffen dienten allen Beteiligten dem Abbau von Vorurteilen. Sie selbst habe beispielsweise von der Türkei ein völlig anderes Bild gehabt, bevor sie dort hinreiste. „Überall gibt es die gleichen Probleme, die gleichen Freuden“, hat sie herausgefunden. Sie freut sich auf die bevorstehenden zwei Wochen: „Es putscht auf, hier schläft keiner“, sagt sie. Natürlich gebe es auch mal Diskussionen und Reibereien oder auch mal Jugendliche, die mit ihrer Gastfamilie nicht klar kämen. „Dann wird einfach getauscht“, sagt Claudia.

Ihr jüngerer Bruder Tobias leitet einen Wasserski- und Snowboard-Workshop. Bei der letzten „Multi“ in seiner Stadt war er fasziniert davon, dass auch die Chilenen „super programmieren können“. Ilka Regber hatte bei der Multi vor vier Jahren das Gesicht verzogen, als sie hörte, dass ihre Familie eine Schülerin aus Estland aufnehmen wollte. „Estland sagte mir gar nichts“, erinnert sie sich. Doch nun ist sie mit diesem Mädchen seit Jahren befreundet. Und eine Betreuerin ist dabei, weil sie findet, dass die Beteiligten auf diesen Treffen „lockerer und toleranter sind als die Durchschnittsbevölkerung“.

Heute morgen wurden die Jugendlichen von Klaus Wehling, Bürgermeister und OB-Kandidat der SPD bei der bevorstehenden Kommunalwahl, begrüßt. Morgen soll ein Stadtspiel dazu führen, dass die jungen Gäste Oberhausen besser kennenlernen. Im Lauf der Woche wird ein Fußballturnier und ein Drachenboot-Event stattfinden, auch ein Gedenktag ist geplant. „Die Gedenkhalle für die Opfer des NS-Regimes am Schloss Oberhausen ist eine der ersten ihrer Art“, erzählt Pressereferent Michael Kempmann. Es sei dort ein Dialog mit Zeitzeugen angedacht und die israelischen Jugendlichen wollten eine Zeremonie durchführen.

Es wird darüber hinaus Workshops in kleinen „gemischten“ Gruppen geben. Die Themen sind Pantomime, Salsa, Mountainbiking, Ikebana, Fußball, eine Gruppe wird ein Straßenmusical erarbeiten. „Wir wollen darauf achten, dass nicht alle Israeli oder alle Polen in einem Projekt sind“, so Claudia Terlinden. Ansonsten würde das Treffen seinen Sinn verfehlen. Welche Sprache gesprochen würde? Meistens Englisch, oft auch Deutsch. „Die Italiener brauchen einen Dolmetscher“, sagt Koordinator Heitzer.