: Partytier und Hypochonder
Gotthold Ephraim Lessing darf sich über ein Geschenk zu seinem 275. Geburtstag freuen. In seinem ehemaligen Wohnhaus im niedersächsischen Wolfenbüttel wurde eine neu gestaltete Dauerausstellung eröffnet. Wenig zu sehen, einiges zu hören, viel zu lesen. Vom Kampf gegen die Vorurteile
Wie kriegen Sie diesen Mann an die Frau? Jetzt, im Lessingjahr, räsonniert Ulrike Zeuch auch über solch eine heikle Frage der Heiratsvermittlung. Die Kuratorin der neu gestalteten Dauerausstellung im Wolfenbütteler Lessinghaus kann über den großen Aufklärer tratschen wie über einen alten Bekannten. Sehr, sehr streitbar sei er gewesen, unberechenbar und wehleidig. „Das war die Kehrseite des Pietismus und der ganzen Empfindsamkeit“, erklärt Zeuch. Dem Alkohol und Glücksspiel habe der Dichterfürst stets reichlich zugesprochen. Ein unsicherer Kandidat für die Heiratsvermittlung sei er also gewesen.
Gleich im Eingang des Lessinghauses ist zu lesen, wie aus dem Menschen eine Kultfigur geworden ist. Goethe&Schiller, das Traumpaar der Läster-Kunst, wurde für einen Moment ernst und feierte Gotthold Ephraim Lessing in den „Xenien“ als Achilles: „Vormals im Leben ehrten wir dich wie einen der Götter / nun du tot bist, so herrscht über die Geister dein Geist.“
„Die Besucher haben das Bedürfnis, Dinge zu auratisieren“, sagt Ulrike Zeuch. Dem hat sie Rechnung getragen – in Maßen. Wenige Reliquien sind überliefert. In Wolfenbüttel erhalten geblieben ist die Totenmaske mit den weichen, leicht aufgeschwemmten Gesichtszügen. Aus Lessings Besitz sind nur ein Schachtischchen und der berühmte Spazierstock mit dem Elfenbeinknauf der Nachwelt überliefert. Aber auch eine dünne Haarlocke von undefinierbarer Farbe: um 1800 auf Seide gebettet und prachtvoll gerahmt. Diskret wurde das biedermeierliche Kultobjekt in die Schublade einer Info-Säule verbannt.
Wie reizvoll Lessings Aufgabe auch war, die hundertjährige Bibliothek zu ordnen und zu erforschen, wie verlockend ihm die feste Anstellung angesichts der unsicheren Existenz des freien Schriftstellers auch erschien: Wolfenbüttel war öde, der herzogliche Hof längst nach Braunschweig übergesiedelt. Auch Lessing flüchtete, so oft er konnte, zu Fuß oder via Postkutsche in die Nachbarstadt. In der Ausstellung streichelt jetzt immerhin die Hamburger Verlobte Eva König das Ego der Wolfenbütteler: Sie ermahnt ihren Freund, nicht in seinem „geliebten“ Wohnort bei den Büchern zu versauern.
Da sitzt nun der Besucher zwischen den Porträts des Paares, genießt den Ausblick auf das Bibliotheksgebäude und lauscht der Audio-Installation: Auszüge aus dem Briefwechsel. Den harmonischen Barockbau der Rotunde, in der Lessing und Leibniz wirkten, muss man sich allerdings hinzudenken: Im 19. Jahrhundert musste er einem monumentalen Nachfolger weichen.
Konzentration auf wenige Objekte, so lautet das Prinzip der Ausstellung. Die Architektur soll für sich selbst sprechen – und das tun die luftig hellen Räume des Rokoko-Häuschens auf jeden Fall.
In einem Zimmer starb Eva König kurz nach der Geburt ihres ersten mit Lessing gezeugten Kindes. Die symbolische Geburtszange im ansonsten leeren Raum lässt schockartig die Realität des 18. Jahrhunderts hereinbrechen. „War es nicht Verstand, dass man ihn mit eisernen Zangen auf die Welt ziehen musste? (Und) dass er die erste Gelegenheit ergriff, sich davonzumachen?“ So schrieb Lessing in einem Brief.
„Impulse für die Auseinandersetzung mit allgemein menschlichen Fragen“ will die Ausstellung geben, heißt es im Konzept. Gemessen an diesem unkonventionellen Anspruch ist die karge Gestaltung zu bedauern. Wie soll man etwas von Lessings Lebensekel verstehen, in den ihn der Tod von Frau und Sohn reißt? Wie etwas von Lessings Empfinden, für das Streben nach dem kleinen Glück bestraft zu werden? Was dem Besucher bleibt, ist der Blick in die anrührenden Briefe. An seinen Freund Johann Joachim Eschenburg schrieb der Dichter: „Ich wollte es auch einmal so gut haben wie andere Menschen. Aber es ist mir schlecht bekommen.“ Wer die Frage nach Sinn und Gerechtigkeit des Leidens aufwerfen möchte, könnte aus diesen Zeilen reichlich Diskussions-Nektar saugen.
Weiterer Schwerpunkt der Ausstellung sind Lessings Breitseiten gegen die christliche Kirche. Daraus lässt sich die zeitlos aktuelle Frage destillieren: Sagt die Bibel die Wahrheit? Auch heute noch kann derjenige seinen theologischen Lehrstuhl verlieren, der behauptet, Jesus sei nicht weiter als ein „sympathischer Naturbursche“ und neunzig Prozent seiner Worte wären manipuliert worden – wie kürzlich im Fall des Göttinger Theologen Gerd Lüdemann.
Mancher Besucher mag von Lessings Ausführungen über Spinoza oder die lutherische Orthodoxie überfordert sein. Die Installation mit den Bildern der Kontrahenten belegt aber auch mit markanten Zitaten, woher der argumentative Wind weht: Lessing polemisiert gegen die öffentliche Person des Hamburger Hauptpastors Johann Melchior Goeze, appelliert an sein Schamgefühl und Gewissen. Goeze hingegen zieht die Drohung mit der ewigen Verdammnis aus der rhetorischen Mottenkiste. Der historische Streit ist hier schon entschieden. Lessing lächelt verhalten. Sympathisch. So kriegt man auch ihn die Frau.
Annedore Beelte
Lessinghaus am Lessingplatz, Wolfenbüttel, Di bis So geöffnet von 10 – 17 Uhr