Trittin darf Stromriesen auf die Finger gucken

Energiewirtschaftsgesetz: Ministerien haben sich überraschend geeinigt. Der Streit im Bundesrat steht noch bevor

BERLIN taz ■ Deutschland ist mal wieder spät dran: Ursprünglich zum 1. Juli hätte die Bundesrepublik gemäß einer EU-Richtlinie eine Regulierungsbehörde für den Energiemarkt einrichten müssen. Die Behörde soll in erster Linie die Bedingungen für die Durchleitung von Strom und Gas durch die Netze der großen Energiekonzerne regeln.

Grundlage ist das Energiewirtschaftsgesetz, um das seit Jahren heftig gestritten wird. Allerdings macht der Streit gerade mal Pause. Überraschend hat sich am Wochenende das federführende Bundeswirtschaftsministerium mit dem Bundesumweltministerium geeinigt. Das Gesetz kann demnach morgen vom Kabinett gebilligt werden.

Es ging mal wieder um den Ökostrom: Gemäß dem Kompromiss erhält das Haus Trittin eigene Aufsichtsrechte. Einen entsprechenden Bericht des Handelsblattes bestätigte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. Als „Schiedsrichter“ kann das Umweltministerium so überwachen, dass etwa die Umlage oder die Durchleitungsgebühren – erhoben von den Netzbetreibern – angemessen sind. Denn zunehmend konterkarieren die großen Stromkonzerne die Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz – mit Anschlussverweigerungen oder durch ihre Preispolitik.

Dass das Gesetz morgen im Kabinett gebilligt werden könnte, bedeutet aber noch gar nichts. Erstens muss es nach der Sommerpause dann den Bundestag passieren. Zweitens ist das Energiewirtschaftsgesetz bundesratszustimmungspflichtig. Und sowohl Union wie auch FDP betreiben beim Thema gern Fundamentalopposition. Und schließlich drittens: Praktische Details des Gesetzes sollen Verordnungen regeln, die erst im Herbst ausgearbeitet werden. Zum Beispiel der Maßstab, nachdem die Durchleitungsgebühren künftig berechnet werden sollen. Die bündnisgrüne Energiepolitikerin Michaele Hustedt schätzt denn auch: „Das wird noch ein langer politischer Prozess, bis wir die Regulierungsbehörde kriegen“. Allerdings glaubt Hustedt nicht an Sanktionen aus Brüssel. „Das Thema ist sehr komplex. und die Kommission sieht ja, dass wir daran arbeiten.“

Zeitdruck bestehe aber dennoch, so Hustedt. „Die Stromkonzerne nutzen das Fehlen der Regulierungsbehörde derzeit gnadenlos aus, um die Preise hochzutreiben.“ So hatte der ostdeutsche Monopolist Vattenfall gerade angekündigt, seine Tarife im Sommer um 20 Prozent anheben zu wollen, und dies mit Mehrkosten durch den Ökostrom begründet. Dazu muss man wissen, dass Vattenfall bereits in jüngster Vergangenheit die Preise angehoben hatte – mit derselben Begründung. Vorgehen konnte man dagegen bislang nur sehr begrenzt: Deutschland ist das einzige große EU-Land, in dem die Marktliberalisierung auf einer Selbtverpflichtung der Wettbewerber beruht. Dass diese nicht funktioniert, macht ein Blick auf das Preisniveau klar: Heute ist Energie teurer als vor der Liberalisierung.

NICK REIMER