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Archiv-Artikel

Möbelpacker hoffen auf Hartz

Müssen Arbeitslose durch Hartz IV scharenweise in Billigwohnungen umziehen? Senatsverwaltungen wiegeln ab: „Arbeitslosenghettos“ kämen nicht. Mieterverein fordert sozialverträgliche Regelungen

VON DANIEL SCHULZ

Berliner Arbeitslose müssen trotz Hartz-IV-Reform nicht damit rechnen, in Abrissgebäude oder Plattenbauten verfrachtet zu werden. Zumindest versprechen das unisono die zuständigen Senatsverwaltungen.

Massenhafte Zwangsumzüge werde es nicht geben, sagte etwa Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS). Auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung müht sich, die Wogen zu glätten: „Wir tun alles, um Arbeitslosenghettos zu vermeiden“, sagt Sprecherin Petra Roland. Man werde wacklige Häuser nicht für Hartz-IV-Betroffene stehen lassen: „Alle Häuser, die wir bisher zum Abriss vorgesehen haben, kommen weg.“ Und aus der Sozialverwaltung heißt es: „Wir werden die Ermessenspielräume zugunsten der Betroffenen nutzen.“

Ab dem 1. Januar 2005 wird Hartz IV gelten und die Arbeitslosenhilfe abgeschafft. Berlins 170.000 bisherige Arbeitslosenhilfeempfänger und die 135.000 erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger bekommen dann Arbeitslosengeld II. Die Kommunen sind dann dafür verantwortlich, ihnen Wohnungen zu besorgen. Den ALG-II-Empfängern steht laut Gesetz nur „angemessener Wohnraum“ zu, wie derzeit schon den Sozialhilfeempfängern. Was als angemessen gilt, ist bisher nicht festgelegt. Die Bundesregierung wird darüber höchstwahrscheinlich die Länder entscheiden lassen. SPD-Landeschef Michael Müller forderte gestern, die entsprechenden Ausführungsvorschriften müssten „in den nächsten Wochen stehen“. Vor allem allein Erziehende, kinderreiche Familien und ältere, kranke Menschen dürften nicht „aus ihren Wohnungen vertrieben werden“.

Laut dem Paritätischen Wohlfahrtsverband will Berlin im September eine Ausführungsanordnung erlassen. Alle Bezirke der Stadt werden sich dabei wohl einheitlich am bisherigen Umgang mit den Sozialhilfeempfängern orientieren (siehe Kasten). Bundesweites Richtmaß ist: 45 Quadratmeter pro Person plus 15 Quadratmeter für jede weitere. Ein Quadratmeter soll nach Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes etwa 4,50 Euro kosten dürfen.

„Wir haben mit unseren Regeln für Sozialhilfeempfänger gute Erfahrungen gemacht“, sagt Regina Kneiding von der Sozialverwaltung. „Solange der Bund keine eigenen Regelungen erlässt, werden wir unsere wohl übernehmen.“

Wenn das passiert, befürchtet Hartmann Vetter vom Berliner Mieterverein, dass „die Kommune mit allen Mitteln versuchen wird, Kosten zu reduzieren“. Und das ginge nur mit Umzügen in sehr billige Wohnungen. Statt zu beschwichtigen, sollten Politiker die Praxis durch entsprechende Verordnungen sozialverträglich gestalten, fordert Vetter. Joachim Rock vom Paritätischen Wohlfahrtsverband kritisiert, dass „die soziale Rutsche in Berlin schneller wird“. Wer seinen Job verliere, könne nach einem Jahr Arbeitslosengeld bald auch seine Wohnung los sein. „Man kann sich vorstellen, was das für einen Menschen bedeutet.“

Allerdings malt auch der Wohlfahrtsverband nicht allzu schwarz. „Wir wissen, dass die Ämter abwägen, ob jemand für teures Geld umziehen muss oder nicht“, so Rock. Schließlich wolle die Stadt sparen. Sozialverwaltungssprecherin Kneiding sichert außerdem Milde zu: „Alte Menschen sollen nach Möglichkeit in ihrer Wohnung bleiben können.“ Gleiches solle auch für jene gelten, die schon sehr lange in einer Wohnung leben. Vor allem Jüngere müssen sich aber darauf einstellen, umzuziehen. Wie viele Empfänger von Arbeitslosengeld II im nächsten Jahr das traute Heim verlassen müssen, ist unklar. Der Senat hat nicht einmal Zahlen darüber, wie viele Sozialhilfeempfänger pro Jahr umziehen müssen.

Der Umzug stünde allerdings nicht sofort an. Denn wenn jemand anfängt, Arbeitslosengeld II zu beziehen, soll es zunächst eine Überprüfung durch die zuständigen Ämter geben. Diese wollen unter anderem feststellen, welche Wohnungsgröße als angemessen gilt. Ein Umzug würde dann frühestens nach einem halben Jahr fällig.