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Archiv-Artikel

Landrat mit Pinakothek

Selbst CSUler bespötteln Zehetmair gern als „allerkatholischste Majestät“Stoiber zerstückelte sein Ressort, erwartete, dass er hinschmeißt. Doch Zehetmair blieb

aus München CHRISTIAN FÜLLER

Eine kleine Prozession zieht durch die „Pinakothek der Moderne“. Vorneweg Carla Schulz-Hoffmann, Direktorin der neuen bayerischen Staatsgalerie, daumengroße Plastikfrüchte baumeln ihr von den Ohren. Während sie die Rolle der Entblößten in Ernst Ludwig Kirchners Bordellszene „Tanzschule“ erläutert, lauscht aufmerksam ein Abt, der Vorsteher eines Benediktinerordens. Im Rollstuhl wird der Erdinger Kreisrat Manfred Becker (CSU) durch den ausladenden Bau gerollt. Schließlich, im Hintergrund, taxieren Leibwächter stirnrunzelnd ein Opus, bei dem der Künstler drei senkrechte Schlitze in eine azurblaue Leinwand geschnitten hat. Einer fragt: „Was ist jetzt da die Kunst?“

Der Anführer der Kunst-Kolonne zweifelt nicht. Hans Zehetmair, bayerischer Kunstminister, hat der Kunst des 20. Jahrhunderts mit dem Gebäude des Architekten Stephan Braunfels erst ein Zuhause geschaffen. Bei einer Saaldienerin hakt er sich unter, mit einer Mutter, die ihr Baby dabei hat, parliert er beinahe demonstrativ. Das ist mein Haus, heißt die Botschaft, und mein Haus ist offen für alle.

Es könnte verblüffen, dass ein Wertkonservativer die moderne Kunst zu seiner Sache macht, einer wie Zehetmair, den selbst CSUler gern als „allerkatholischste Majestät“ bespötteln, der einem Gebilde namens „Katholischer Männerverein Tuntenhausen“ vorsteht. Das ist das Besondere an diesem Minister. Dass er künstlerische Freiheiten, erzkatholische Ansichten und seine Heimat Erding zusammenbringen kann.

„Der Hans hat sich schon als Landrat in Erding um die Kunst verdient gemacht“, sagt der Kreisrat Becker über den Freund. Hans Zehetmair steht derweil in verwitterten, dicksohligen Schuhen inmitten der Moderne. Auf seinem Anzug fällt eine Unebenheit auf, ein klebriges Etwas auf dem grün-blauen Tuch. Hans Zehetmair, ein Picasso mit Fleck auf dem Revers. Der Landrat mit Gemäldegalerie von Weltniveau.

Dabei ist Johannes Baptist Zehetmair, 66, doch der unumstrittene Star unter den deutschen Kultusministern. Seine politische Bilanz ist ausgezeichnet. Bayerns Schüler, die unter ihm als Bildungsminister lernten, sind mit Abstand die besten in Deutschland. In seiner Zeit als Wissenschaftsminister schaffte es der ländliche Südstaat, zum Hightech-Land zu werden. Die Pinakothek schließlich ist das Lebenswerk des Kunstministers Zehetmair, der Markstein, den er sich und Bayern gesetzt hat.

Aber nun, nach 17 Amtsjahren, will er plötzlich aufhören. Nach der Landtagswahl im September soll Schluss sein. „Ausschließlich aus persönlichen Motiven“, will er jede andere Deutung seines Abtritts von vornherein ausschließen. Wahrscheinlicher ist, dass er den Zeitpunkt seines Abschieds lieber selbst bestimmen möchte. Denn schon einmal wollte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber den Eigenwilligsten seines Kabinetts loswerden.

Zehetmair, 1937 als Sohn eines Bauern und Handwerkers in Langengeisling geboren, ist nie ein Münchner gewesen, sondern stets Erdinger. Er geht im katholischen Klosterseminar in Freising zur Schule, wird aber dann nicht Priester, sondern Pädagoge und Politiker. Er beginnt mit 21 ein Lehrerstudium für Deutsch, Griechisch und Latein. Das schöngeistige Fach kontrastiert er mit dem Start seiner Ochsentour, einer typischen Parteikarriere. Junge Union, CSU, Stadtrat. 1972, mit 36 Jahren, wird er Vizelandrat. Zwei Jahre später zieht er als Abgeordneter in den Bayerischen Landtag ein. Und kehrt 1978 wieder nach Erding zurück, diesmal als Landrat.

Zehetmair hilft in dieser Zeit, den Bau des Flughafens im Erdinger Moos durchzusetzen. „Obwohl ich ihn nicht in Erding gebaut hätte“, sagt er bei der Autofahrt durch sein Stammland trocken. „Ich hätte ihn im Münchner Süden errichtet, damit auch mal die Versnobten da unten einen Beitrag leisten.“ Das ist seine Spezialität. Einen Gegensatz erst konstruieren – und ihn dann geißeln: Hier die braven Bauern, dort die Brüder Leichtfüße aus dem Süden. Der Strauß-Airport wurde dennoch ins Moos gepflanzt. Landrat Zehetmair klagte nicht, er holte das Maximale für seinen Kreis heraus, Arbeitsplätze, Kläranlagen, ein Stück Autobahn. „Ich habe politisch gehandelt“, sagt er.

Auch für ihn selbst wurde der Job im Erdinger Landratsamt alles andere als ein Karriereknick. 1986 holt ihn Franz Josef Strauß wieder nach München. Der CSU-Übervater fragt ihn, ob er Staatssekretär werden wolle. „Wenn sie mich rufen, sage ich Ja“, antwortet Zehetmair, „aber ich traue mir auch den Minister zu.“ Dieses „Minister-kann-ich-besser“ wird legendär. Es begründet Zehetmairs Ruf, humorvoll, witzig, manchmal frech zu sein. Ein Ruf, der einem gefährlich werden kann.

In Garching, am Biertisch, ist davon keine Rede. Zur Mittagszeit sitzt Zehetmair mit dem Bürgermeister bei Leberkäs und sauren Semmelknödeln beieinander. Zwischendurch tuscheln das Stadtoberhaupt und Zehetmair vertraut. Der Ort braucht die Hilfe des scheidenden Ministers. Im Übrigen amüsiert man sich und lästert – über die örtliche CSU, die versuchte, den Forschungsreaktor in Garching zu verhindern.

Die Brotzeit findet nicht etwa im Biergarten statt, sondern auf dem Campus des Forschungszentrums. Der Bürgermeister, ein Sozialdemokrat, ist froh über das, was der eingefleischte CSU-Mann Zehetmair bei ihm angesiedelt hat. 5.000 Wissenschaftler arbeiten hier. Demnächst werden weitere Hochtechnologie-Arbeitsplätze dazukommen. Der Forschungsreaktor geht in Betrieb, ein Großrechner ist im Bau. Und, das macht den Wissenschaftsmanager Zehetmair sichtbar stolz, der US-Gigant General Electrics, der größte Elektrokonzern der Welt, errichtet gerade sein europäisches Forschungszentrum in Garching.

Um Staatsminister zu werden, reichen bayerische Abstammung, Ehrgeiz und Philantropie allerdings nicht aus. Die kesse Art etwa seiner Berufungs-Story mit Franz Josef Strauß zeigt Zehetmairs Faible für Machtspielchen. Hans Maier, sein Vorgänger, war 1986 zu unberechenbar geworden für ein bayerisches Kabinett. Strauß fingerhakelte öffentlich mit dem Philosophen Maier, der ihm zu sanft gegen die Gesamtschule agierte – und ließ sich heimlich vom Pädagogen Zehetmair beraten. Als Strauß das Ministerium in zwei Teile schnitt und Maier nur noch die Universitäten, nicht aber die Schulen ließ, geschah das Beabsichtigte: Maier ging. Und Zehetmair stand in heißen Stiefeln.

„Was ich nicht mag“, spielt der Edel-Kultusminister beim Kaffee in seinem Ministerbüro den Unschuldigen, „wenn man mich für einen großen Strategen hält.“ Doch, versichert er, das Verhältnis zu Hans Maier sei ausgezeichnet. Heute. Damals habe der Vorgänger ihm, Zehetmaier, das politische Manöver sehr wohl angelastet. Kein Wunder. Der Grund für Maiers Demission hatte sich nach einer Schamfrist von drei Jahren in Luft aufgelöst. Und Zehetmair stand an der Spitze des wiedervereinigten Schul-, Wissenschaft- und Kunst-Ministeriums, damals das größte Deutschlands.

Den Dreschflegel vergaß der Bauernsohn nicht von Erding nach München mitzunehmen. Er rottete die Gesamtschule, die er als ideologisches Experiment scholt, in Bayern praktisch aus. Er keilte gegen Homosexuelle, weil sie wider die Natur lebten, „contra naturam vivere“ hieß der Tiefschlag gegen Schwule bei Zehetmair. Inzwischen hat er sich dafür mehrfach entschuldigt, nannte seinen Ausfall gar „Schwachsinn“. Was unverzichtbar war, um den Imagewandel zum feinsinnigen Kunstminister vorzubereiten. Aber in Zehetmair wohnt eben nie nur das Ingeniöse, das Freie, das Große, das die Münchner Theaterszene so an ihm verzückt.

Zehetmair versteht es noch kurz vor seinem Abtritt als reichster und einflussreichster Kultusminister der Republik, einen brutalen politischen Wettbewerb zu entfachen. Kein Ostland kann mithalten, wenn er im Zuge der Universitätsreform die Professorengehälter in Schwindel erregende Höhen treibt. Er führt auch die Fronde der Unionsländer gegen Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD). Ob sie Ganztagsschulen vorschlägt oder Bildungsstandards, Zehetmair demütigt sie als „die inkompetente Bundesministerin“. Es schmälert die Beleidigung kaum, wenn er anfügt, er meine damit natürlich nicht Frau Bulmahn persönlich, sondern ausschließlich ihr Amt. Weil Bildung Ländersache ist. Das ist sein Credo, das ihn zum Lordsiegelbewahrer der Kulturhoheit der Länder macht.

Vielleicht war Zehetmair, der das Schöngeistige mit dem Charme eines „Viehhändlers“ (FAZ) vereint, immer so grob. Vielleicht ist er es erst wieder geworden nach dem, was ihm selbst widerfuhr. Als er 1998 auf dem Höhepunkt seiner Karriere zu stehen scheint, nimmt Edmund Stoiber ihn aufs Korn. Mit der gleichen Volte, die Strauß gegen Hans Maier wandte, will er Zehetmair aus dem Amt treiben. Stoiber zerstückelt das Kultusressort, erwartet, dass Zehetmair hinschmeißt. Der aber bleibt.

Es hat ihn geärgert, gequält, er empfand, sagt er, Stoibers Stil als „demütigend“. Aber der verletzte Respekt vor der Person musste, ausnahmsweise, weniger wiegen als sein großer Plan: „Die Chance, Akzente zu setzen, die meine Zeit überdauern“, sagt er. Zum Beispiel die, wie er sie selbst nennt, Krönung, die Pinakothek. Stoiber mag früher, als sie zwei Landtagsabgeordnete mit einem Büro waren, stets das gemeinsame Telefon okkupiert haben. Die Pinakothek durfte er nicht kriegen.

1998 freilich stand die Pinakothek der Moderne, nach Jahrzehnten des Gezerres, vor der Vollendung – dank Zehetmaier. 1991 wischt er eine teure, bundesweit besiegelte Planung für das Areal vom Tisch, um der Gegenwartskunst einen Ort im Münchner Museumsviertel zu sichern. 1994, Staatskanzlei und Finanzministerium wollen die Pinakothek kippen, rettet er das 130-Millionen-Euro-Projekt, indem er Stoiber verspricht, zehn Prozent der Bausumme privat einzusammeln – und es schafft. 1996 endlich wird der Grundstein gelegt, der Bau in Sichtweite von alter und neuer Pinakothek ist nicht mehr zu stoppen. Hätte er da abtreten sollen? Aus Eitelkeit?

Den Lohn für sein Stehvermögen fährt er jetzt ein. Er sitzt in seinem Ministerbüro, umgeben von Werken Noldes und Pechsteins. In der Ecke ein mächtiges Kreuz, vor das er einst den Richter des Bundesverfassungsgerichts, Ernst-Gottfried Mahrenholz, platzierte, um ihn in einen Disput zu verwickeln.

Das ist die Liga, in der sich Zehetmair sieht. Umgeben von erstrangiger Kunst. Im intelligenten Streit mit dem Vertreter der angesehensten Institution des Bundesstaates. Einen Platz im Geschichtsbuch gleich neben König Ludwig I. von Bayern, dem Erbauer der Alten Pinakothek. Alles Dinge, die einem gescheiterten Kanzlerkandidaten nicht zuteil werden.