Kopftuch-Debatte

betr.: „Zeichen der Ohnmacht“ von Gerdlin Friedrich, taz vom 23. 7. 04

Das Kopftuch hat eine sexuelle Bedeutung – das ist wirklich eine Entdeckung, auf die wir nie gestoßen wären! Im Islam strotzt es nur so vor Sexualität, während es in unserem Christentum allenfalls emotional hergeht! Wenn muslimische SoziologInnen unser Christentum, das Judentum oder jede andere Weltreligion unter dem sexuellen Aspekt betrachteten, kämen sie sicherlich zu Ergebnissen, die denen von Gerdlin Friedrich recht nah kommen. Und den Hinweis, dass Nonnen ihr Haar nur bedecken, „um ihre Beziehung zu Gott zum Ausdruck zu bringen“, würden sie mühelos widerlegen können.

Ja, das Kopftuch hat eine sexuelle Bedeutung. Irgendwann wurde das Tragen des Tuches zu einer gesellschaftlichen Tradition, später zu einem Bestandteil des religiösen Kanons. Auf die Art und Weise sind viele Regelungen in den verschiedenen Religionen entstanden. Und nicht wenige haben eine sexuelle Bedeutung oder zumindest einen sexuellen Aspekt als Ursprung. Mich stört an der Argumentation der Autorin, dass sie ausschließlich eine männliche Sichtweise auf das Kopftuch darstellt – nämlich genau jene, die unbelehrbare Muslime vertreten –, die wirklich nicht debattierbar ist. Was aber sehen gläubige Frauen in dem Tuch – viele hoch gebildete unter ihnen? Sind das alles Masochistinnen? Ich kann mir selbst nicht vorstellen, ein Kopftuch zu tragen – aus Gründen der Eitelkeit und somit auch sexuellen Gründen. Aber warum muss ich von mir auf andere schließen?

Die Muslime in Deutschland kommen aus den unterschiedlichsten Ländern, die im Laufe ihrer eigenen Geschichte verschiedene Facetten des Islam entstehen ließen. Was die Muslime hier wollen und wer sie sind, hängt sicherlich nicht nur von ihnen ab, sondern auch davon, wie lange die deutsche Gesellschaft sie weiterhin ausgrenzt und sich selbst überlässt. Und von welchen Sonderrechten spricht die Autorin? Mir fallen im Moment nur Sonderverbote ein. Auch finde ich als deutsche Nichtmuslimin es blamabel, dass Moscheen in unserem Land bis auf wenige Ausnahmen allenfalls in Industriegebieten, auf Hinterhöfen u. ä. geduldet werden.

Islam ohne Kopftuch ist möglich, genauso wie ich Christ sein kann, ohne in die Kirche zu gehen. Aber ganz unmöglich finde ich, dass muslimische Frauen sich in zwei oder drei (je nach Verhüllungsgrad?) Schubladen stecken lassen müssen.

IFFET ATLIALP, Düsseldorf

Hier wird zum ersten Mal kenntnisreich und mit Wissen um die sozialen und politischen Hintergründe über die „Kopftuchproblematik“ geschrieben. Was Gerdlin Friedrich ausführt, deckt sich mit dem, was ich in Büchern von Fatima Mernissi und Nawal el Saadawi gelesen habe. Ich denke, dass unsere Solidarität den Frauen gelten muss, die die Verschleierung ablehnen. Das ist die Mehrheit unter den Musliminnen! Sie sehen sich aber immer öfter Angriffen und Bedrohungen ausgesetzt. Ich verstehe nicht, warum viele Linke und Grüne das nicht kapieren können. Frau Friedrich ist sehr mutig. „National befreite Zonen“ gibt es nicht nur bei deutschen Rechtsradikalen.

ELVIRA BÜCHNER, Berlin

Die erste und bisher einzige Analyse des „Kopftuchs“, die meine Meinung trifft. Endlich bringt es mal eine auf den Punkt. Klar und deutlich, dabei sachgerecht argumentiert und höflich zugleich (sogar zu den Grünen-Frauen, bei denen man wirklich gern polemisch werden möchte). Das gefällt mir.

Der einzige Einwand: Die Nonnentracht ist nicht ganz so frei von sexuellem Hintergrund, wie es Gerdlin Friedrich schreibt.

ASTRID RAIMANN, Köln

Eine klare Bestandsaufnahme der sexuellen, religiös verbrämten Hintergründe des Kopftuchzwangs, die bei der sich neuerdings durch alle Gesellschaftsschichten schleichenden nahezu tumben Toleranz gegenüber diesem Unterdrückungssymbol bitter nötig war! Eine politisch-sachliche Auseinandersetzung nicht nur mit den extremen Strömungen des Islam ist überfällig.

Sowenig, wie das Christentum zur demokratischen Entwicklung der modernen westlichen Staaten beigetragen hat, so wenig wird der Islam oder Islamismus die demokratische Ordnung und die Gleichstellung der Geschlechter akzeptieren, wenn er dazu nicht wie seinerzeit die christliche Kirche gezwungen wird. Kemal Atatürk wusste das und handelte entsprechend! Die Auseinandersetzung mit der Moderne, der sich das Christentum besonders seit der Französischen Revolution stellen musste, hat im Islam doch noch nicht einmal ansatzweise stattgefunden. […] BIRGIT SCHIEFKE, Hannover