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Archiv-Artikel

Sonst wäre Susanne die Professorin

betr.: „Schröder hat nichts mehr zu sagen“ (Die andere Halbzeitbilanz) von Ulrike Herrmann, taz vom 24. 7. 04

Die von Frau Herrmann genannten Probleme sind im Grunde genommen einfach zu lösen: Alle stellungslosen Menschen sind dadurch in Stellung zu bringen, dass man die Höchstarbeitszeit für alle auf 25 bis 30 Wochenstunden festlegt und die Niedrigstlöhne so anhebt, dass sich aufgrund dieser Stundenzahl davon leben lässt. Die wenigen Menschen, die nicht erwerbsarbeitsfähig sind, lassen sich dann (hoffentlich ohne Ressentiments) problemlos unterstützen. Auf diese Weise könnte man die Privatisierung von Unterhaltspflichten (Ehegattensplitting, Witwenrente) zurücknehmen, es ließe sich ebenfalls auf die Ghettoisierung von Kindern qua Krippe und Ganztagsschule verzichten; Menschen könnten (wieder?) mit Kinder leben, und diese würden dadurch nicht mehr ständig übersehen und benachteiligt – und was der positiven Folgen sonst noch sein könnten.

Solange dieses jedoch nicht geschieht, möchte ich die Autorin sowie ihre KollegInnen dringend darum bitten, die von den herrschenden Strukturen negativ betroffenen Menschen nicht auch noch gegeneinander auszuspielen. Insbesondere beobachte ich in der letzten Zeit Feindseligkeiten gegenüber Frauen, die, wohl in den meisten Fällen unfreiwillig, die Unterhaltspflichten ihrer Ehemänner in Anspruch nehmen. Das Sozialamt müsste ihnen, unverheiratet, allein lebend und natürlich ebenso stellungslos, weitaus mehr zahlen, als der durchschnittliche Splittingvorteil ausmacht. Frau Herrmann merkt zwar an, dass ihr Beispiel mit der Witwenrente ein Extremfall ist, den herauszupicken stets ungerecht sei; die Diskriminierung beginnt aber dort, wo der Kontext weggelassen wird und – das Anderssehen des Falles immer noch unterstellt – wo sich auch die Witwenrente durch Arbeit (wenn auch unbezahlte) zu legitimieren hat.

Dieses Selbstverständnis finde ich nicht in Ordnung. Professorenwitwe Susanne bekommt nicht deshalb Witwenrente, weil sie ja doch auch etwas geleistet hat; sie bekommt sie, weil ihr die Möglichkeit, eine eigene Rentenanwartschaft aufzubauen, aufgrund der herrschenden Strukturen nicht gegeben wurde. Aus der Sicht von Susanne ist daher die Botschaft gerade nicht, dass sie dem Staat mehr wert sei als Erwin. Denn sonst wäre Susanne die Professorin.

MARION GNUSCHKE, Kassel