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Archiv-Artikel

Wachschutz für die Kohlfelder

Messegegner auf den „Fildern“ bei Stuttgart müssen zehnte Niederlage vor Gericht verkraften. Letzte Instanz gegen Enteignungen ist das Bundesverfassungsgericht. Verkauf eines Bauernhofs schwächte den Widerstand

AUS STUTTGART HEIDE PLATEN

Die Verlierer wollen nicht geschlagen vom Feld ziehen. Ab morgen Mittag bewachen sie die Äcker. Die Schutzgemeinschaft Filder (SG) kämpft seit zehn Jahren gegen den Neubau der Messe südöstlich von Stuttgart. Die Filderebene versorgt die Region verbrauchernah mit Fleisch, Milchprodukten und vor allem mit Obst und Gemüse. Berühmt ist sie für das Filderkraut, eine Art spitzköpfigen Weißkohl, der zu Sauerkraut und Krautrouladen verarbeitet wird.

Das sollte nach dem Willen der Bauern und der 40 Organisationen und Gemeinden, die sich in der SG zusammengeschlossen haben, auch so bleiben. Sie klagten durch zehn Instanzen gegen den Messeneubau. Vergeblich: Am Dienstag entschied auch der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof gegen sie. Die Messegegner mussten zudem hinnehmen, dass einer der sechs klagenden Bauern aufgab und an die Messeplaner verkaufte. Besonders bitter, so die Vorsitzende der Schutzgemeinschaft, Gabi Visintin, weil Walter Stäbler bisher einer der engagiertesten Mitstreiter war und immer darauf gedrungen hatte, den Widerstand fortzusetzen.

Durch den Verkauf seines Landes wird die Projektgesellschaft Neue Messe nun in den Stand gesetzt, den verbliebenen Bauern ausreichend Ausgleichsflächen anzubieten. Der Mannheimer Gerichtsentscheid hat auch bundesweite Bedeutung, denn er stützt das 1998 vom baden-württembergischen Landtag verabschiedete Messegesetz, das Enteignungen und Sofortvollzug der Baumaßnahmen speziell für die Messe möglich macht.

Bisher waren Zwangsenteignungen nur erlaubt, wenn das Allgemeinwohl dem privaten Interesse übergeordnet werden konnte. Das galt für Bauvorhaben zur Landesverteidigung, für Verkehrswege und zur Versorgung mit Strom, Gas, Wasser.

Enteignungen in der Bundesrepublik haben sich in den letzten Jahren gehäuft: in Nordrhein-Westfalen für den umstrittenen Braunkohleabbau, in Bayern für eine unterirdische Gasleitung, in Rheinland-Pfalz für den US-amerikanischen Militärflughafen. Dass ein privates Unternehmen wie die Messe, der der Killesberg in Stuttgart zu eng geworden ist, künftig dem Gemeinwohl dient, ist ein Novum.

Landesgesetzgeber und Richter argumentierten, die Messe fördere die regionale Wirtschaft und schaffe Arbeitsplätze, sie diene also der „Daseinsfürsorge“. Die Gegner werten den Bau nicht nur wegen der Enteignungen als Affront gegen die Bewohner der Filderebene. Die Flugzeuge donnern im Minutentakt, in Sichtweite der Höfe ragt der Flughafen zwischen Weizen- und Maisäckern, von der anderen Seite drängen die Randgebiete Stuttgarts. Autobahn A8, Bundes- und Landstraßen, S- und Fernbahnen zerschneiden die Landschaft. Ministerpräsident Lothar Späth hatte während seiner Regierungszeit versprochen, dass der Flughafenausbau „die letzte große Belastung“ sein werde, die ertragen werden müsse. Man habe ihm, so Gabi Visintin, gelaubt. Sein Nachfolger Erwin Teufel (CDU) habe dieses Versprechen gebrochen und stattdessen, als sich der Widerstand formierte, das Messegesetz beschlossen. Durchaus vorhandene, alternative Standorte seien nicht einmal geprüft worden.

Auch die Kommune Echterdingen-Leinfelden, deren Stadtparlament sich jahrelang geweigert hatte, Flächen herzugeben, gerät ins Hintertreffen. Noch im Januar 2004 hatte sie mehrheitlich eine von Oberbürgermeister Roland Klenk (CDU) ausgehandelte, 35 Millionen Euro hohe Entschädigung für den Messebau abgelehnt. Klenk, so Visintin, sei „ein fairer und ehrlicher Mann“. Er habe Verständnis für die Messegegner. Deren Chancen hatte Jurist Klenk allerdings immer pessimistisch beurteilt. Doch auch bei dem Messegesetz ist ihm nicht wohl. Wohlstandserhaltung sichere zwar generell den sozialen Frieden in der Region, andererseits aber aber werde „die Abgrenzungschärfe“ zwischen Gemeinwohl und Privatinteresse „etwas verwischt“.

Den Messegegnern steht jetzt als letztes Mittel die Klage beim Bundesverfassungsgericht offen. Visintin: „Es gibt nichts Schlechtes, an dem nicht auch etwas Gutes ist.“ Trotz aller Enttäuschung werde die SG weiterkämpfen und dort einen Eilantrag stellen. Bis dahin werde Wache gehalten, denn die Messegesellschaft hatte angekündigt, dass ab Montag die Bagger rollen sollen.