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Archiv-Artikel

Minister will Politik zum Kotzen

Niedersachsen drängt auf den Einsatz von Brechmitteln. Bislang wurden nur in Osnabrück Dealer zum Übergeben heruntergeschluckter Drogen gezwungen. In Hannover soll es in 14 Tagen losgehen, weitere Städte sollen folgen

Aus HannoverKai Schöneberg

Hans-Dieter Klosa hatte sich lange gesträubt. Der Einsatz von Brechmitteln sei eine „zu große Belastung für alle Beteiligten“, fand der Polizeipräsident von Hannover. Das zwangsweise Spritzen des Mittels Apomorphin, damit die Dealer Hannovers heruntergeschluckte Drogenkügelchen erbrechen, gehe „stark an die Menschenwürde“ – die der Polizisten.

Deshalb hatte Klosa einen Erlass des Justizministeriums, der den Einsatz von Apomorphin in Niedersachsen erlaubte, bislang ziemlich großzügig ausgelegt: Nur, wenn Verdacht auf einen „Verbrechenstatbestand“ besteht, solle Apomorphin in Hannover verabreicht werden. Das erfüllt aber erst der Besitz von mindestens 15 Gramm Koks oder Heroin. Die Folge: In Hannover wurde bislang kein angeblicher Drogendealer zum Kügelchen-Kotzen gezwungen. Bislang war ausgerechnet Osnabrück die einzige Stadt im Land, in der Brechmittel eingesetzt wurden.

Das findet Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) „zu wenig abschreckend“: Er will jetzt in ganz Niedersachsen auch den umfassenden Einsatz von Brechmitteln durchsetzen – wie in Mecklenburg-Vorpommern, Bremen oder Hamburg, wo der Tod des afrikanischen Flüchtlings Achidi J. nach einem gewaltsamen Brechmitteleinsatz im Dezember 2001 Schlagzeilen machte.

Apomorphin sei weit ungefährlicher als die beim Tod von Achidi J. in Hamburg verabreichte Brechwurzel namens Ipecacuahna, sagte Schünemann zur taz. Außerdem könne es nicht angehen, dass „die Polizei nichts tun kann, wenn Dealer vor ihren Augen Drogen schlucken“, betonte Schünemann.

Deshalb setzt er derzeit die Brechstange für Brechmittel ein. Inzwischen hat der Minister „Abstimmungsgespräche“ mit den Polizeibehörden Hannovers veranlaßt, weitere in anderen Städten Niedersachsens sollen folgen. Hannovers Polizeipräsident Klosa, der noch zu Zeiten der SPD-Regierung ins Amt gekommen war, gab dem Druck des CDU-Ministers umgehend nach. Während Hannovers Polizei den Einsatz bislang „uneffektiv“ fand, weil zwei Beamte mehrere Stunden an einen Fall gebunden waren, wird es nun bald Brechmittel für mutmaßliche Dealer geben.

Offensichtlich habe er – in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Hannover – die „Schwelle“ zum Kotzzwang bislang zu niedrig angesetzt, sagte Klosa. „Wenn es aus dem politischen Bereich“ andere Meinungen gebe, werde er sich „dem jedoch nicht verschließen“. Derzeit prüfe Hannover „die praktische Seite“ der Brechmittelabgabe, so der Polizeipräsident. Das Ergebnis: In „zehn bis 14 Tagen“ dürfte auch in Hannover gekotzt werden.

„Minister Schünemann bastelt weiter an seinem gewünschten Image, der härteste Innenminister der Republik zu werden“, kritisierte der innenpolitische Sprecher der Landtags-Grünen, Hans-Albert Lennartz. Der Brechmitteleinsatz sei „höchst problematisch“, weil das Grundrecht auf körperliche Integrität berührt werde. Der niedersächsische Flüchtlingsrat findet die „menschenverachtenden Einsätze“ in Osnabrück ohnehin schon lange „zum Kotzen“ – auch, weil meist Menschen dunkler Hautfarbe betroffen sind. Außerdem stelle sich die Frage, warum die Polizei die Dealer die Kügelchen nicht einfach „aussitzen“ lasse.