Haus, Traum und Albtraum

Einer der ehemaligen Grundbesitzer auf dem Mauerstreifen klagt ab heute gegen den Bund. Er und die anderen wollen ihren Besitz wiederhaben. Konrad Bautz erzählt von seinem Haus

Es wäre einfach, zu schreiben, ein Querulant träumt von vergangenen Tagen

von PHILIPP GESSLER

Für den Vater von Konrad Bautz muss es das Traumhaus gewesen sein: Sein Papa, erzählt der 67-jährige Berliner, sah ein Modell auf einer Austellung. „Das“, sagte er zu seiner Frau, „will ich auch mal bauen.“ Er kaufte ein 800-Quadratmeter-Grundstück zwischen Alt-Glienecke und Neukölln, machte, als Zimmermann, viel selbst, und kurz vor Kriegsausbruch 1939 war es fertig: ein einstöckiges, holzverkleidetes Häuschen mit großen Fenstern. Im Grünen. Ein Foto zeigt den kleinen Konrad mit seinen stolzen Eltern vor dem fertigen Heim. Es sieht nach Glück aus.

Doch der Traum des Vaters ist seinem Sohn zum Albtraum geworden. Daran ist das „ensetzliche Feilschen“ schuld, wie Konrad Bautz es ausdrückt: Bautz und seine Mitstreiter von der Interessengemeinschaft der Grundbesitzer auf dem Mauerstreifen Berlin e. V. kämpfen ab heute gegen eine mächtige Gegnerin, die Bundesrepublik Deutschland. Vor dem Berliner Landgericht will Bautz’ Vereinskollege Wolfgang Pütz in einem Musterprozess das Mauerverkaufsgesetz aus dem Jahr 1996 juristisch zu Fall bringen. Mit dem Gesetz versuchte der vereinigte deutsche Staat, alle ruhig zu stellen, deren Grundstück nach dem Mauerbau 1961 von der DDR enteignet wurde, um hier Stacheldraht und Todesstreifen durch Berlin zu ziehen. Dafür wurden die Familien Bautz und Pütz entschädigt – warum die Klage?

Um das zu verstehen, muss man sich aufmachen in die winzige Mietwohnung von Bautz, in der Nähe seines ehemaligen Grundstücks. Dort trifft man einen recht hübschen Mann mit dichten weißen Haaren, die ihm fast jugendlich ins Gesicht fallen. Die Raufasertapete fleckig, das Sofa speckig – es wäre einfach, zu schreiben, dass ein verbitterter älterer Querulant vor seinen Schwarzweißfotos aus dem Familienalbum sitzt und von vergangenen Tagen träumt. Doch dann fängt Bautz an zu erzählen, und man beginnt zu begreifen.

Das Haus der Familie Bautz war in gewisser Weise ihr Schicksal: Wie sein Sohn erzählt, empfand Vater Bautz, politisch sehr interessiert, für die Nazis schon früh nur tiefe Abneigung. Doch dank seines Chefs und seines Könnens als Zimmermann entging er dem Einsatz als Soldat an einer Front des Hitler-Krieges. Er baute stattdessen in der Nähe des Hauses Wehrmachtsbaracken – eine als kriegswichtig eingestufte Arbeit.

Konrad Bautz erinnert sich noch, wie seine Familie im Frühsommer 1944 in einem spontanen Akt der Hilfsbereitschaft eine untergetauchte Jüdin aufnahm, die in dem Haus am Stadtrand Unterschlupf suchte und den Krieg bei ihnen zu Hause überlebte. Sie hatte falsche Papiere, wurde „Hütchen“ genannt und nach außen als Ausgebombte ausgegeben. Eines Tages im März 1945 aber kriegten die Nazis die Familie doch: Als Vater Bautz gegenüber einem SS-Oberen durchsetzen wollte, dass Zwangsarbeiter in seinem Betrieb auch ihr Mittagessen bekommen, nutzte der Nazi seine Macht: Der ihm verhasste Zimmermann wurde in ein Strafbataillon der Wehrmacht versetzt, offenbar an eine Front im heutigen Tschechien. Nach Recherchen des Sohns starb sein Vater in den letzten Kriegstagen im Mai 1945, wahrscheinlich erschlagen von Tschechen, die sich an den Besatzern rächen wollten.

Nun lebten Konrad Bautz und seine Mutter allein in dem Haus. „Es waren ziemlich harte Zeiten“, erzählt er, denn seine Mutter hatte keine Ausbildung. Sie lebten so lange wie möglich von Obst und Gemüse aus dem Garten; im Frühling, wenn die Vorräte zur Neige gingen, war man von der Hilfe anderer abhängig. Bautz machte eine Ausbildung zum Maschinenbauingenieur, fand eine Arbeit bei einem Betrieb in der Nähe und blieb mit der Mutter in dem Häuschen.

Es hätte so weitergehen können, wenn nicht der 13. August 1961 dazwischengekommen wäre: Als der Mauerbau begann, glaubten Konrad Bautz und seine Mutter zunächst an eine vorübergehende Absperrung des sowjetischen Sektors. Die Grenzsoldaten verärgerten die Nachbarschaft, weil sie Gärten verwüsteten – Konrad Bautz schrieb sogar eine Beschwerde an den verantwortlichen General, doch mit den dann eingesetzten Elitetruppen wurde die Lage nur schlimmer. Ende September 1961 wurden die Bautzens aufgefordert, ihr Haus zu verlassen. Es werde versiegelt, versicherten Grenzoffiziere, in ein paar Monaten werde es wieder zurückgegeben. Wenn die politische Lage sich wieder beruhigt habe.

Doch schon wenige Wochen später, nachdem sich ein Offizier die guten Fenster und Türen gesichert hatte, wurde das Haus abgerissen. Spätestens da war Bautz mit diesem Staat fertig. Dass seine Mutter und er nicht flohen, begründet er mit ihrer Herzkrankheit. Die Koffer und eine Drahtzange für den Zaun standen bereit. Bautz konnte seine Verachtung für das Regime bald auch im Betrieb nicht mehr verbergen – er verlor seine Arbeit und schlug sich bis zum Mauerfall 1989 mit schlecht bezahlten Hilfsarbeiten durch.

Als Entschädigung für den Verlust des Hauses erhielt Familie Bautz vom DDR-Regime etwa 9.000 Euro, ein „mieser Preis“, schon zu Ostzeiten. Nach dem Wiedervereinigung hoffte Bautz auf eine angemessene Entschädigung von bundesdeutscher Seite: Schließlich bezweifelt niemand, dass die Mauer ein Unterdrückungsinstrument war. Doch wie alle ehemaligen Besitzer eines Mauergrundstücks erhält Konrad Bautz vom Staat nur 75 Prozent des Verkehrswerts des Grundstücks, weil der Staat auf seinem ehemaligen Grund nun eine Autobahn bauen will. Wo kein öffentliches Interesse besteht, haben die früheren Grundbesitzer das Recht, ihr Grundstück für 25 Prozent des Verkehrswerts zu kaufen.

Nach Bautz’ Berechnung erhielt er vom Staat gerade mal 4.000 Euro für seinen früheren Besitz. Da sei doch klar, sagt er, dass er und seine Mitstreiter sich „gedemütigt und verraten fühlen in diesem Land“. Dann fahren wir hinaus auf sein ehemaliges Grundstück. Es liegt auf einer Brache, die früher einmal der Todesstreifen war. Viel erzählt hat Bautz, jetzt ist er still geworden. Hier stand das Haus, das ein Teil seines Lebens war. „Schade“, sagt er, wie für sich selbst, „schade.“