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Archiv-Artikel

Möchtegern-Großstadt, klein und bürgerlich

Die Serie zur NRW-Kommunalwahl am 26. September. Heute: In Moers könnte alles anders werden, so wie früher

Moers?

Die kleinste Großstadt Deutschlands. Die Drehscheibe am linken Niederrhein. Zwei Lieblingsstanzen der knapp 110.000 Grafschafter Bürger. Römer und Oranier hinterließen den nachhaltigsten Eindruck. Nach dem Strukturwandel in den 1990ern machten die letzten beiden Zechen dicht, bleiben 8,8 Prozent Arbeitslose. Die kommunale Verwaltungsreform von 1975 meinte es gut mit den Moersern. Statt Anhängsel der hochverschuldeten Stadt Duisburg wurde Moers zur Kultur-Metropole im Kreis Wesel: Schlosstheater, Jazz-Festival, Comedy-Art und natürlich der unvermeidliche Hans-Dieter-Hüsch.

Wer hat was zu verlieren?

Die CDU ihre Ratsmehrheit und den OB-Posten. Bei der Europawahl lagen CDU und SPD gleichauf: 35 Prozent. Grüne und FDP kommen auf.

Wer regiert im Rathaus?

Rafael Hoffmann (CDU) löste 1999 den Sozialdemokraten Wilhelm Brunswick nach 22 Jahren Alleinregierung ab. Brunswicks Vorgänger Albin Neuse (SPD) regierte von 1952 bis 1977. So viel zur Flexibilität der Moerser Wählerschaft. Schwarz-Gelb regierte mit 27 Stimmen gegen die gleichstarke Opposition aus SPD (22), Grünen (4) und PDS (1). Am 31. März 2003 wurde die Vereinbarung aufgekündigt. Die CDU warf ihrem Partner um den bürgerinitiativen Ratsherren Otto Laakmann Linksabweichung vor und wollte das Jazz-Festival kippen. Ein Politikum. Weitere Zusammenarbeit unmöglich.

Wer will da rein?

Norbert Ballhaus (48), gebürtiger Gladbecker. Als Leiter der Markscheiderei des Bergwerk West in Kamp-Lintfort zielt er auf die verloren gegangene Klientel der SPD. Parteikarriere im unteren Bereich. „Zukunftsfähigkeit und Solidarität“, mehr will er nicht.

Was gibt es im Wahlkampf außer Kugelschreibern?

„Viel getan, viel zu tun“, propagieren die Christdemokraten und beschränken sich auf die eigenen Kräfte. Die SPD bekommt Unterstützung von Ex-Bundesjustizminister und Synoden-Mitglied der Evangelischen Kirche in Deutschland, Jürgen Schmude. MdB und Jazzfan Siegmund Ehrmann rührt ebenfalls die Werbetrommel. Grünes Stattfest mit Hilfe der Stattzeitung – die letzte Alternative?

Die taz-Prognose

Schwarz-Gelb ist schon jetzt Geschichte. Wer am Jazzfestival rüttelt, ist selber schuld. SPD wird stärkste Kraft. FDP gräbt mit linksliberalen Themen grünes Potenzial ab. Sogar die Ampel ist möglich. Die PDS wird diesmal kein Zünglein spielen können.

HOLGER PAULER