: Die PDS leidet mit Gregor Gysi
Keine Partei hängt so sehr von der Verfassung eines Einzelnen ab wie die PDS von ihrem prominenten Genossen. Seit Gysi am Sonntag wieder ins Krankenhaus kam, ist die Frage nicht: Will er die PDS 2006 in den Bundestag führen?, sondern: Kann er es?
VON STEFAN ALBERTI
Die jüngsten Gesundheitsprobleme von Exsenator Gregor Gysi sind längst nicht nur persönliches Schicksal des PDS-Politikers. Immer wahrscheinlicher wird, dass eine Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl 2006 nicht allein vom Wollen Gysis, sondern auch vom Rat seiner Ärzte abhängt. Für die PDS wäre das trotz derzeit guter Umfragewerte ein recht schwerer Schlag. Selbst Gegner konstatieren einen Prozente bringenden Gysi-Effekt. Der soll, so hofft man in der PDS, die Partei wieder mit einer Fraktion in den Bundestag bringen. Keine andere Partei hängt so sehr von der Verfassung einer einzigen Person ab.
In den Wochen seit der Europawahl Mitte Juni hatte sich bei der PDS vorsichtige Zuversicht breit gemacht. 6,1 Prozent und damit deutlich über jener 5-Prozent-Hürde, an der sie 2002 scheiterte, stärkste Partei in Brandenburg und in Berlin zumindest aus der Talsohle heraus. Eine Frage aber kann bei Gesprächen mit PDSlern aus zufriedenen Gesichtern bedenkliche machen: Kann der das? Darf Gysi sich und seiner Gesundheit eine Spitzenkandidatur 2006 antun? Die Krankenakte dieses Jahres: Im Februar ein Herzinfarkt, im Mai wegen akuter Herzprobleme im Krankenhaus, am Sonntag wieder in die Klinik. Diagnose: Durchblutungsstörungen.
Es geht deshalb nicht länger darum, ob Gysi will. Denn das scheint vielen längst klar. In der PDS kann man hören, Gysi werde irgendwann anfangen, laut über eine Kandidatur nachdenken, sich dann lange bitten lassen, Bedingungen stellen und schließlich zusagen. So ähnlich war es auch 2001, als er Spitzenmann für die Abgeordnetenhauswahl wurde. „Er hat selbst gesagt, dass er sich dazu Anfang 2005 äußern will“, sagt Berlins PDS-Chef Stefan Liebich. „Ich wünsche mir schon, dass er sich zur Spitzenkandidatur entschließt.“
PDS-Wahlkampfleiter André Brie war nach der Europawahl direkter. Man wolle 2006 wieder in den Bundestag, mit Gregor Gysi, rief er bei der Wahlparty seinen Parteifreunden zu. An Gysis Anwaltsjob kann es nicht liegen, wenn er ablehnt. Nach seinem Abgang als Wirtschaftssenator hatte es nicht den Anschein, dass ihn die juristische Arbeit und Fernsehauftritte allein ausfüllen. Auch Landesparteichef Liebich hat den Eindruck, dass Gysi gern wieder in der Politik mitmischen würde. „Es ist schon so, dass er mich hin und wieder zu Tagesfragen der Politik anruft und Vorschläge macht“, sagt der Parteichef, der 25 Jahre jünger ist als der 56-jährige Gysi.
Wie wichtig er für die Wähler und die Mitglieder ist, bestreiten auch PDSler nicht, die nicht gerade zu Gysis Fankreis zählen. Sicher gibt es weiter jene, die ihm und seinem Abgang die Wahlschlappe 2002 anlasten. Doch selbst über sie heißt es: „Er braucht bei einer Rede ungefähr zwei Minuten, dann haben ihn alle wieder lieb.“
Sie haben zum Liebhaben ja auch keine Alternative. Zwei Jahre ist Gysi aus allen Ämtern raus, und doch ist er populärer und medienpräsenter als alle Parteioberen, Senatoren und Minister der PDS. Trotz derzeit bis zu 7 Prozent in den Umfragen wissen auch Kritiker, dass ohne Gysi ein Erfolg bei der Bundestagswahl zweifelhaft ist.
Diese Fixierung auf einen Heilsbringer ist einzigartig. Würde bei der CDU Merkel fallen, gäbe es Koch, Stoiber, Merz und andere. Schröders Parteivorsitz trauert bei der SPD kaum einer nach. Selbst Fischer bei den Grünen ist vor allem dank der agilen Verbraucherschutzministerin Künast nicht so entscheidend für seine Partei wie Gysi für die PDS.
Gut ein Jahr ist es her, dass Gysi sein damals neues Buch vorstellte. Vor dem Hintergrund der aktuellen Gesundheitsprobleme bekommt der Titel einen ganz anderen Klang: „Was nun? Über Deutschlands Zustand und meinen eigenen“.