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Archiv-Artikel

Beinahe-Eklat in Peking

Nordkorea gefährdet mit der Androhung eines Atomtests die Fortsetzung der Sechserrunde

aus Peking GEORG BLUME

Der Eklat im Pekinger Staatsgästehaus blieb aus. Zum Abschied reichten sich gestern die Vizeaußenminister der sechs versammelten Nationen – China, die USA, Russland, Japan, Nord- und Südkorea – vor einem eigens für sie gebauten sechseckigen Konferenztisch die Hand und wünschten sich ein baldiges Wiedersehen. Zuvor hatten die Sechs in einer gemeinsamen Erklärung ein weiteres Treffen angekündigt.

Doch stand man gestern bereits am Rand des Eklats. Schon am Morgen des letzten der drei Konferenztage fanden die sechs Delegationen eine Depesche der staatlichen nordkoreanischen Nachrichtenagentur vor: „Da sich die Vereinigten Staaten jeglicher Absicht verweigern, ihre feindliche Politik gegenüber der Volksrepublik Nordkorea zu ändern, sind die Aussichten auf eine nächste Verhandlungsrunde in Zweifel geraten“, ließ KCNA aus Pjöngjang verlauten. Damit war auch der kleinste gemeinsame Nenner der Runde – die Fortsetzung der Gespräche – zumindest in Frage gestellt.

Schon am Donnerstag begannen die Schwierigkeiten, als der nordkoreanische Delegationsleiter allen Anwesenden mitteilte, was er tags zuvor nur im bilateralen Austausch mit den USA erwähnt hatte: dass Nordkorea im Falle fortgesetzter Bedrohung einen Atombombentest erwäge und sich bald zur Atommacht erklären könnte. Damit war die Katze aus dem Sack. „Die Chinesen reagierten sichtbar verärgert. Andere waren erstaunt. Wir blieben gesetzt“, berichtete ein US-amerikanischer Delegationsteilnehmer vom zweiten Verhandlungstag.

Die ersten offiziellen Reaktionen auf die versteckte Atomtestdrohung Pjöngjangs kamen denn auch nicht vom Verhandlungstisch in Peking, sondern vom Weißen Haus in Washington. „Nordkorea hat viel Erfahrung mit provozierenden Kommentaren, die dazu dienen, es vom Rest der Welt zu isolieren“, sagte Claire Buchan, Sprecherin von US-Präsident George W. Bush. Zudem verwiesen US-Diplomaten darauf, dass Nordkorea ihnen gegenüber die gleichen Drohungen bei einem vorausgegangenen Treffen im April in Peking gemacht habe.

War also gar nichts Neues an der Provokation Pjöngjangs? So wollte es jedenfalls der russische Chefunterhändler Alexander Losjukow sehen, der von einem Atomtest als „rein hypothetischer Annahme“ Nordkoreas sprach. Ganz anders aber sahen das die Pekinger Gastgeber. Gestern verbreiteten die Volkszeitung und andere große Staatsmedien die Nachricht von der nordkoreanischen Atomtestdrohung unkommentiert – was allen Bürgern Zeit ließ, sich der vorher nie erwähnten Gefahr bewusst zu werden. Ein solches Vorpreschen der Medien aber erlauben die regierenden Kommunisten in der Regel nur dann, wenn sich ihre Position in einer Frage ändert: Offenbar nimmt Peking die Drohung ernst – so wie auch Diplomaten in Washington trotz ihrer derzeit eher leisen Töne die Möglichkeit eines baldigen nordkoreanischen Atombombentests keineswegs ausschließen. Womit sich die Frage anschließt, inwieweit es China und den USA wirklich gelingt, sich gegenüber Nordkorea zu verbünden. Hier jedenfalls liegt eine neue, aus der Sechserrunde in Peking geborene Hoffnung.

Was aber kann solch guter Geist auf der koreanischen Halbinsel bezwecken? Wäre Nordkorea nicht mehr, würden die Einflusssphären beider Großmächte auf der koreanischen Halbinsel unmittelbar aufeinander treffen. Vielleicht bereiten sich beide Länder bereits auf diesen Fall vor. Der Beinahe-Eklat von Peking macht ihn denkbarer.

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