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Archiv-Artikel

Beck to the roots

Sozialreformen tun weh. Die Grünen sollten sich deshalb wieder mehr als Bürgerrechtspartei profilieren, findet Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck

von CHRISTIAN RATH

Die Grünen wollen wieder stärker als Bürgerrechtspartei erkennbar werden. Dies kündigte gestern Volker Beck, parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, in Berlin an. Wenn es nach ihm geht, sollen die kommenden zwei Jahre geprägt sein von einem „Aufbruch für Bürgerrechte und moderne Gesellschaftspolitik“.

Der Appell richtet sich zunächst an die eigene Partei. „Es ist gut, dass wir heute auch in der Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik ernst genommen werden“, so Beck, „gewählt werden wir aber wegen Themen, bei denen uns die Bürger ein ganz spezifisches Profil zuschreiben.“ Neben der Ökologie sei dies auch die Bürgerrechtspolitik. Beck beruft sich hier auf Ergebnisse der Wahlforschung. Danach seien libertäre Werte wie Autonomie, Partizipation und Gleichberechtigung für Grünenwähler von entscheidender Bedeutung.

Beck, der bis zur letzten Wahl rechtspolitischer Sprecher der Fraktion war, hat deshalb ein Papier verfasst – gemeinsam mit drei grünen Parteifreundinnen: Exparteichefin Claudia Roth, heute Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Anne Lütkes, grüne Justizministerin in Schleswig-Holstein, und Monika Düker, Sprecherin der Partei-AG für Demokratie und Recht.

In den Einzelfragen enthält das Papier bekannte grüne Positionen. Cannabis soll künftig legal – aber unter Beachtung des Jugendschutzes – verkauft werden, der Rechtsschutz gegen polizeiliche Abhörmaßnahmen soll verbessert werden. Für nicht anerkannte, aber gut integrierte Flüchtlinge soll es ein Bleiberecht geben, Volksentscheide sollen endlich auch bei Bundesgesetzen möglich werden. Die rund 30 Projekte dürften in der Partei wohl auf allgemeine Zustimmung stoßen.

Probleme sind eher mit der SPD zu erwarten. „Keines der im Koalitionsvertrag angekündigten Projekte ist bislang auf den Weg gebracht worden“, heißt es in dem gestern vorgestellten Papier. So fordern die Grünen bei der Homoehe eine Gleichstellung nun auch im Steuerrecht und in der Hinterbliebenenversorgung. Die Sozialdemokarten sehen dagegen wenig Bedarf für eine weitere Angleichung an dieklassische Ehe, zumal diese Reformen auch die Zustimmung des CDU-dominierten Bundesrats brauchten.

Beck glaubt jedoch, dass es in der Gesellschaftspolitik keine strategischen Brüche zwischen SPD und Grünen gibt. „Die SPD ist immer etwas zögerlicher als wir, aber im Wahlkampf zählte Kanzler Schröder die Homoehe und das neue Staatsbürgerschaftsrecht dann doch zu den wichtigsten Erfolgen von Rot-Grün“. Auch in Zukunft könne sich die rot-grüne Regierung in puncto gesellschaftlicher Liberalität klar von der Opposition absetzen, so Beck.

Aber ist die Öffentlichkeit derzeit nicht ganz auf die anstehenden Sozialreformen fixiert? Für die grünen Papierschreiber ist das kein Problem, vielmehr sei die Zeit für Reformen bei Bürgerrechten und in der Gesellschaftspolitik sogar besonders günstig. „Wenn wir sonst den Bürgern oft weh tun müssen, sind hier noch echte Verbesserungen möglich.“

Passend zum Zeitgeist argumentieren Beck und seine Mitautoren auch stark mit ökonomischen Aspekten. So sei ein Informationsfreiheitsgesetz eben nicht nur für Bürgerinitiativen, sondern auch für Unternehmen nützlich, die dem Staat in die Karten schauen wollen. Außerdem sei die Anerkennung von diversity (Vielfalt) heute ein wichtiges Kriterium für erfolgreiche Volkswirtschaften, argumentiert Beck. Die Unternehmen sollten daher keine Angst vor einem breit angelegten Antidiskriminierungsgesetz haben.