: Wirtschaftswunder in USA stottert ein wenig
Wachstum hoch, aber abgeschwächt. Schulden bei Staat gehen ans Limit. Dafür sparen die Konsumenten
NEW YORK taz ■ In den letzten drei Monaten hat sich das Wachstum der amerikanischen Wirtschaft erheblich verlangsamt. Zu diesem Ergebnis kam das US-Handelsministerium in Washington. Es meldete, dass sich das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal nur um drei Prozent erhöht habe – das sei die langsamste Wachstumsrate seit über einem Jahr. Sie liege weit unter den 4,5 Prozent der ersten drei Monate.
Dazu passt, dass die Regierung in Washington das diesjährige Haushaltsdefizit auf 445 Milliarden Dollar schätzt, nach 375 Milliarden im Vorjahr. US-Finanzminister John Snow forderte gestern den Kongress auf, die Schuldengrenze der Regierung zum dritten Mal seit ihrer Amtsübernahme im Jahr 2000 nach oben zu verschieben: Die gegenwärtig verfügte Grenze von 7,4 Billionen Dollar werde Ende September überschritten. „Die Regierungsarbeit“, so Snow, sei dann „nur noch bis Mitte oder Ende November“ aufrechtzuerhalten.
Grund für die schlechten Wachstumszahlen ist die starke Zurückhaltung der US-Verbraucher beim Einkauf. Die gestiegenen Energiepreise führten zu weniger Lust auf Konsum. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern, denn der Ölpreis ist mit 44 Dollar pro Barrel auf den höchsten Stand seit 21 Jahren geklettert. Dabei sind Verbraucher die wichtigste Stütze der US-Wirtschaft. Ihre Ausgaben machen mehr als zwei Drittel des Bruttoinlandsproduktes aus.
Die wirtschaftliche Beruhigung ist schlecht für US-Präsident George Bush, der seine Wiederwahl im November auch aufgrund der starken Erholung der Wirtschaft erreichen will. Doch die letzten drei Monate spielen in die Hände seines Gegners John Kerry, der schon lange behauptet hat, dass die Bush-Regierung nicht genug unternommen habe, um die US-Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.
Angetrieben von Steuersenkungen und Niedrigstzinsen ist die angeschlagene US-Wirtschaft in den letzten drei Jahren durch die Kauflust der Verbraucher schnell wieder gewachsen. Die Amerikaner refinanzierten ihre Häuser mit niedrigen Zinsen und gaben das übrig gebliebene Geld für andere Sachen aus. Der Zentralbankrat hat die Zinsen nun jedoch erstmals wieder leicht angehoben, weitere Erhöhungen werden wohl folgen, weil auch die Inflation – vor allem durch die hohen Ölpreise – wieder zu steigen droht.
Inzwischen haben die US-Amerikaner neun Billionen Dollar Schulden aufgenommen. Dazu gehören auch Hypotheken und Autoanleihen. Das sind 40 Prozent mehr als vor vier Jahren. Rein theoretisch hat ein Amerikaner mit einem Einkommen von 30.000 Dollar im Jahr Schulden in der Höhe von 34.000. Dabei ist die Bezahlung leicht rückläufig. Das Economic Policy Institute, ein Thinktank in Washington, schätzt, dass der Stundenlohn für viele Arbeiter bei 15,65 Dollar liegt. Das ist weniger als die 15,69 Dollar, die im November 2001 bezahlt wurden.
Auch die Beschäftigungslage lässt zu wünschen übrig. Im Juni wurden nur 112.000 neue Jobs kreiert. Dabei sollten laut Vorhersagen im Monat mindestens 200.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
In der Zukunft könnte es allerdings wieder besser aussehen. Der Index des New Yorker Meinungsforschers Conference Board ist im Juli von 102,8 auf 106,1 Punkte gestiegen. Auch die University of Michigan hat wieder Hoffnung. Ihr Index ist auf 96,7 Punkte geklettert. Eigentlich waren 96,0 Punkte erwartet worden. HEIKE WIPPERFÜRTH