: Federleichte Trauer
Subversion gesucht, Heroismus gefunden: Die Geister sind nicht gehorsam auf dem Sommerfestival auf Kampnagel. Ein Gastspiel aus Singapur
von GABRIELE WITTMANN
„Die Welt ist seit dem letzten Festival noch monströser geworden. Die fortschreitende Globalisierung führt zu einem Hyperstaat, der keine Fremden und keinen Blick von außen mehr duldet.“ Mit diesen Worten begrüßte Hidenaga Otori, der aus Tokio als künstlerischer Leiter des Sommerfestivals „Laokoon“ in die Hamburger Kampnagelfabrik eingeladen wurde, das Publikum zur Eröffnung. Und versuchte damit den kryptischen Titel der diesjährigen Ausgabe: „Cyborgs against the Empire“ zu erklären. Denn die Künstler müssten als Zwitterwesen in diesen Zeiten dagegen angehen und subversiv die Prozesse der Globalisierung unterlaufen, so sein Plädoyer.
Zum Auftakt hat er die Choreografin Angela Liang aus Singapur eingeladen: Eine Künstlerin, die sich als „moderne Schamanin“ versteht. Die den Konfuzianismus seit Kindertagen aufgesogen hat und ihre Nützlichkeit für die Gemeinschaft darin sieht, dass sie südostasiatische Traditionen nicht nur auslotet, sondern auch in Frage stellt. „Shadow Houses“ nennt sie ihr Tanzrequiem auf den 11. September, Häuser des Schattens.
Auf weißem Tanzteppich ragen vier zerklüftete Stelen in die Luft, wie aus Papier gerissene Reste eines Hochhauses. Ein kleiner Fensterdurchbruch ist darin, eine Tür, mehr nicht. Um dieses Schreckensbild, das sofort Assoziationen an Ground Zero hervorruft, tanzen die fünf Frauen und zwei Männer der Arts Fission Company.
Mit der Projektion einer antiken indonesischen Kampfhandlung auf dem Leib begegnen sich Hery Suwanto und Ari Kuntarto, die in einem klassischen javanesischen Tanz immer wieder aufeinander losgehen. Er wird sich im Laufe des Abends wiederholen – mal schneller, mal langsamer, mal in klassischen Sarongs, mal in Militäruniform. Der gute Prinz und der böse Angreifer – sie werden ihre Rollen kaum merklich tauschen.
„In der Recherche zu diesem Stück ist mir aufgefallen, wie viele Sagen es im südostasiatischen Tanz zum Kampf zwischen Gut und Böse gibt“, erzählt Liang. „Und heute sagt jeder: Mein Gott ist besser als deiner. Ironischerweise bewegen wir uns zurück zu diesen immer gleichen, seit Urzeiten überlieferten Kämpfen.“
Gegen die eindrucksvollen Soli und Duette der javanesischen Tänzer setzt Angela Liang fünf Frauen. Sie verrichten mechanische Alltagsbewegungen im Gleichschritt, tasten sich an Wänden entlang, öffnen bunte Geschenkschachteln und schnuppern an deren Inhalt. Sind es Urnen, die die Überreste der Verstorbenen bergen? Mit verzückter Gestik rollt Elysa Wendi immer wieder ein imaginäres Viereck am Boden aus und definiert sich damit einen neuen Handlungsraum. Wirft Imaginäres in die Luft wie Asche, und spielt damit: tippelt auf Zehenspitzen der federleichten Energie hinterher, die Hände ans Schürzenband gewinkelt; hält inne in der Pose der Götter – und fällt um wie ein Stein.
Im dritten Teil des Abends driften die Frauen dann endgültig in einen immer währenden Krieg. In ihren besten Momenten erinnern sie an exaltierte Models, heben zickig den Kopf in ihren schillernden Mänteln mit steilen großen Yamamoto-Kragen, schnellen den Zeigefinger befehlend hervor, erspringen sich Positionen mit gebieterischer Miene, stumpf und selbstquälerisch. Dann leuchtet kurz auf, welches Talent in Angela Liang schlummern könnte: Ein Aufspüren von traditionellen und zeitgenössischen Gesten, das mit leichter Hand schillernde Vogue-Posen mit geschliffenen Kampfkünsten verbindet, Gebete mit Ausdruckstanz.
Wie die Frauen diese Bewegungen ausführen, das erinnert indes zu oft an die heroischen Gesten der Moderne einer Martha Graham. Deren Technik lernte Angela Liang in den USA. Und Heroisches, das ist genau das, was sie eigentlich nicht wollte mit ihrem Stück. Wenn dann auch noch das Ensemble zu notorischem Handyklingeln und aus dem Takt laufenden Kontrolltönen minutenlang wild die Bühne durchquert, dann sind die ersten europäischen Zuschauer entnervt ob all der altbackenen Illustration und verlassen über die knarzenden Treppen die Halle.
Und das ist schade. Denn Angela Liang bemüht sich in Singapur darum, der Tanzkunst wieder eine starke Position zu verleihen – im öffentlichen Raum, in Lastenaufzügen an Hochhäusern. Noch geben die Geschäftsleute Geld, wenn die hungrigen Geister der Verstorbenen im Herbst durch Tanz und Musik gnädig gestimmt werden sollen. „Aber seit der New Economy sollen wir unsere Feste fallen lassen“, sagt Angela Liang. „Es ist plötzlich altmodisch geworden. Die Leute wollen nur noch das schnelle Geld.“