: Verschüttete Farben
Das über Frankfurt nennt sich Himmel, und es ist auch einer, ein lobenswerter
Es ist nicht ganz ausgemacht, was eindrucksvoller und schöner ist. Es ist zum Beispiel der Frankfurter Himmel ein durchaus zumindest in Deutschland einzigartiger, weil bisweilen und vielleicht durch vom nahen Taunus erzeugte Luftumschichtungen einzigartig strahlender, leuchtender, Farben verschüttender Himmel. Der Frankfurter Früh- und aber auch Hoch- bis Spätsommerhimmel, etwa vom Balkon einer Wohnung im Dichterviertel aus betrachtet, verströmt und vergießt eine kaum mehr namhaft zu machende Kolorpracht, zumal im Verbund mit dem ja eigentlich recht hässlich in einen vom Sponsor veranlassten Magentaschein getauchten Fernsehturm, dem „Ginnheimer Spargel“.
Auch als im Zentrum der Stadt geschauter Himmel ist der Frankfurter Himmel in diesen Tagen zumeist eine unbefleckte Emanation von Glanz und Wärme. Ob er dazu die hochschießenden Bankentürme braucht, ist unklar. Sitzt man aber in einem Café gegenüber vom einst durch Baader und Ensslin in Brand gesteckten Kaufhof und blickt hinüber zur Paulskirche, die sich genügsam hinter dem First eines Kinocenters zeigt, leuchtet das goldene Kreuz wie nicht gescheit, herzzersprengend patiniert bananengelb, manchmal auch ein wenig silbern. Das vermag es allerdings nur, weil der Himmelsfond, dieses andernorts nie gesehene samtblaue, hingeschmiegt tiefe Tuch, so unglaublich, ja schon einen Deut unglaubwürdig sich breitet, krampflos und gütig.
Auch nicht zu verachten ist ein Gewitter, ein starkes und kraftstrotzendes Gewitter, ein zunächst fast laut- und blitzlos heranziehendes Gewitter. Ein solches Gewitter enträt nicht des sich hochrappelnden Windes, dessen jedes Gewitter bedarf, aber es gnatzt und dröhnt nicht vorab, es wandert nur herzu, und die Bäume wiegen ihre Kronen, während von rechts ein schwarztintiger Wolkenkeil ins dicke Blau schleicht, weiß und walgrau schäumt es schon links, die Welt macht Anstalten, sich abzudimmen und einzumummen, und dann bricht das Wasser los, ohne Blitz, ohne Donnerposaunen, es fegt quer durch die Straße, die Bäume schütteln ihre wuscheligen Häupter, als rockten sie zu Metallica oder Queens Of The Stone Age, und plötzlich beginnt auch noch die Theatervorstellung, die auf dem Zettel steht: Lichtzacken, Erdbrüllen, schwarze Vision.
Es regnet so stark, dass man von einem Wolkenbruch spricht, zu Recht. Der Himmel zerreißt sich, marmorne Flecken kleben plötzlich im Wattepack, und die Regengischt brandet, sie peitscht gegen das gelbe Haus dort drüben. Der Mensch kauert zufrieden gedankenfrei hinterm Fenster. Noch mehr Schwarzblau und nun Grün und ein wenig Ocker schmieren sich zwischen die freigiebigen Batzen, tausend Perlen verschwenden sich am Fensterglas, und nach ein paar Minuten ist es vorbei, hinten, über den blassroten Dächern, trollt sich grollend das Gewittergenie.
Dann öffnet sich ein Fenster im Haus gegenüber, und eine alte Frau lehnt sich heraus und schaut, und sie nickt leicht und lächelt.
Es ist also nicht ausgemacht, was wir mehr schätzen: den speziellen Frankfurter Himmel oder ein bestimmtes, eigenartiges Gewitter, das so, wie wir es sahen, überall auf der Welt wohl wird sein können. Doch beides besagt, dass die Natur ein Recht darauf anzumelden sich nicht scheuen darf, angeschaut, bewundert und mit der ganzen Kraft des menschlichen Herzens gelobt zu werden. JÜRGEN ROTH