: Zusammengegossen, zusammengeflickt
Zwei Architekturausstellungen: Wolfsburg fiebert einer gebauten Sensation entgegen, in Braunschweig feiert die lokale Architektenelite sich selbst
aus Wolfsburg Eberhard Syring
Bahntrasse und Mittellandkanal ziehen in Wolfsburg einen schnurgeraden Trennungsstrich zwischen der Welt der Arbeit und der Welt der Freizeit. Nördlich dieser Zäsur liegt die wuchtige Industrie-Architektur des VW-Konzerns. Im Süden hingegen verläuft, rechtwinklig zum Kanal, die Hauptstraße. Um diese herum hat sich das kommerzielle und noch weiter südlich das kulturelle und politische Zentrum herausgebildet
Die strikte Halbierung der Stadt ist aber seit einiger Zeit passé: Der Konzern hat erkannt, dass Autos zwar Industrieprodukte, aber als solche auch kulturelle oder zumindest Kultobjekte sind – und primär der Freizeitwelt angehören. „Autostadt“ heißt der ausgedehnte Brandpark gleich neben den mächtigen Schloten des Fabrik-Kraftwerks, den VW zur Pflege dieses Kultes schaffen ließ. Eine neue Brücke verbindet nun die alte mit der neuen Freizeitwelt.
Doch unproblematisch ist diese Vereinigung nicht: Die touristische Attraktivität der „Autostadt“ führt nämlich dazu, dass Wolfsburgs kulturelles Zentrum, an dessen Gestaltung so namhafte Architekten wie Alvar Aalto und Hans Scharoun mitgewirkt haben, deutlich ins Abseits gerät. Dieses Ungleichgewicht soll nun durch einen Neubau auf der Stadtseite der Brücke ausgeglichen werden. Das Rezept: Man nehme einen Schuss „bekannte Architektenhandschrift“, um an das Renommee der kulturellen Mitte anzuknüpfen, und verrühre das Ganze mit einer Prise „populäre Nutzung“, um den erlebnisorientierten Stadttouristen gerecht zu werden.
Das Ergebnis heißt PHAENO – ein Science Center zur unterhaltsamen Vermittlung naturwissenschaftlicher Phänomene, ähnlich dem Bremer „Universum“. Als eigentlicher Renner könnte sich aber die exzentrische Architektur der britisch-irakischen Stararchitektin Zaha Hadid erweisen.
In ihren Plänen hat Hadid das Bodenniveau weitgehend freigehalten, lässt den Stadtraum unter dem Gebäude hindurchgleiten. Der ausladende dreieckige Baukörper ruht auf mächtigen Säulen, die aber nicht massiv sind, sondern selbst wieder Hohlräume enthalten.
Diese durchdringen als Raum-im-Raum-Figuren das Bauwerk vertikal und leiten unter anderem Licht in die tiefer liegenden Ebenen: Insgesamt soll eine labyrinthische Innenraumlandschaft entstehen, die sich mit vielen Durch- und Ausblicken zur Umgebung öffnen wird.
Wird, denn noch ist das Ganze Baustelle. Wegen der komplizierten Aufgabe entwickelt sie sich nicht so schnell wie geplant. Aber spätestens seit der Bebauung des neuen Potsdamer Platzes in Berlin ist ja bekannt, dass eine Baustelle bestens geeignet ist, ästhetisiert und zum Event hochstilisiert zu werden.
So etwas geschieht zurzeit auch in Wolfsburg. Das Institut Heidersberger im Wolfsburger Schloss präsentiert die Arbeiten von sechs Studierenden verschiedener Kunsthochschulen, die den Bauprozess ein Jahr lang fotografisch begleiten durften und die werdenden Räume künstlerisch interpretiert haben. Dabei kamen durchaus originelle Zugänge zustande, die nicht nur – wie man erwarten könnte – den Autonomieanspruch der Architektur stützen. Sie reflektieren ihn auch kritisch.
Für Nils Nolting entwickelt die unglaublich hohe Dichte der tragenden Hilfskonstruktionen ein ästhetisches Eigenleben jenseits der Architekturform. Auf den Innenraumaufnahmen von Arne Friedrich und Jan Grothklags herrscht eine klaustrophobische Note vor. Einen besonders kritischen Blick aber entwickelt Katharina Timner: „Die Lockerheit der Computer-Animationen wird hier in der Realität unter enormem Aufwand in Form gezwungen“, notiert sie. „Das Gebäude entsteht nicht wie sein Eindruck homogen von innen heraus, sondern wird zusammengegossen, zusammengeflickt.“ Auf ihren Fotografien hat sie deshalb den eigenen Körper ins Spiel gebracht, um in die vorgegebene Linienführung einzugreifen. Dieser fremde, fast naive Blick von außen macht die kleine Architekturschau spannend.
Ganz anders die Architekturausstellung, die die Bezirksgruppe Braunschweig des Bundes Deutscher Architekten zur hundertsten Wiederkehr des Gründungstages des BDA gestaltet hat. Wer der Ankündigung Glauben schenkt, dass hier das „baukulturelle Schaffen der vergangenen hundert Jahre“ in der Region aufgearbeitet werde, wird enttäuscht. Es dominiert die eitle Präsentation jüngster Arbeiten. Die Generation der Gründungsväter ist so gut wie nicht präsent, die zweite Generation der zwischen 1900 und 1910 Geborenen wird auf Übersichtstafeln eher pflichtgemäß gewürdigt.
Dabei wäre eine vergleichende Untersuchung der unterschiedlichen Einflussgrößen im Werk von Protagonisten wie Diez Brandi, Lucy Hillebrand und Friedrich Wilhelm Kraemer auch noch für die gegenwärtige Architekturdiskussion von höchstem Interesse. Doch Reflexion scheint nicht unbedingt die Stärke des BDA zu sein.
PHAENOgraphie, Institut Heidersberger, Schlossstraße 8, Wolfsburg, täglich außer montags, 12 - 17 Uhr. Bis 14. September.Hundert Jahre BDA im Bezirk Braunschweig, Braunschweigisches Landesmuseum, Burgplatz 1, täglich außer montags, 10 bis 17 Uhr. Bis 15. Oktober