DER STATUS QUO ZWISCHEN CHINA UND TAIWAN IST GEFÄHRDET
: Zeichen der Verzweiflung

In den letzten Wochen haben Politiker aus der Volksrepublik China fast täglich Taiwan mit Krieg gedroht. Sie wollen verhindern, dass Taiwan Schritte in Richtung Unabhängigkeit unternimmt. Zur Untermauerung übte Chinas Volksbefreiungsarmee bereits die Eroberung einer Insel. Solch ein Sommertheater ist Taiwan bereits gewöhnt. Doch dieses Jahr ist in Peking eine Verhärtung feststellbar. Sie steht für Verzweiflung und Uneinigkeit.

Bisher konnten alle Konfliktparteien mit dem Status quo gut leben. Taiwan ist seit 1949 de facto unabhängig, hat sich wirtschaftlich entwickelt und demokratisiert. Das offizielle Selbstbestimmungsrecht wird den Taiwanesen von einem in der Kolonialzeit traumatisierten China verwehrt, das mit seiner Macht die Ein-China-Politik international durchsetzt. Nun wird dieser Status quo von Chinas wirtschaftlichem und machtpolitischem Aufstieg herausgefordert. Das Wirtschaftswachstum ermöglicht Peking jedes Jahr, 50 auf Taiwan gerichtete Raketen aufzustellen und zugleich der Insel mittels Dollardiplomatie die letzten Verbündeten auszuspannen. Hier arbeitet die Zeit für Peking. Umgekehrt ist es bei der Bildung einer taiwanischen Identität. Je länger die Taiwaner sich selbst erfolgreich regieren und modernisieren, je schwächer die Bindungen an das Festland werden, desto anachronistischer erscheint eine Wiedervereinigung.

Hinzu kommen politische Faktoren. In China ist das Militär die letzte Machtbasis von Expräsident Jiang Zemin, dem der Konflikt Einfluss garantiert. Und auch Taiwans Präsident Chen Shui-bian hat entdeckt, dass Pekings Säbelrasseln seine politischen Gegner auf der Insel schädigt. Chinas Hoffnungen, dass er abgewählt wird, erfüllten sich nicht. Vielmehr hat Peking bisher kein Konzept gegen ihn gefunden. Zudem hat China das Problem, dass es seine wiederholten Drohungen mit Taten untermauern oder mit noch schrilleren Tönen anreichern muss, um nicht als Papiertiger dazustehen. Die Region wird also in absehbarer Zeit nicht zur Ruhe kommen. Umso unverantwortlicher ist, dass Bundeskanzler Schröder das EU-Waffenembargo gegen China aufheben will. SVEN HANSEN