Alarmstufe Rot in Transnistrien

Die kommunistische Führung der international nicht anerkannten Republik lässt rumänischsprachige Schulen schließen. Die Führung der Republik Moldau reagiert mit einer Im- und Exportblockade. Beobachter warnen vor einem neuen Bürgerkrieg

VON KENO VERSECK

Das Dekret, das die Separatisten in Transnistrien Anfang Juli erließen, klang harmlos: Alle Schulen in dem Gebiet müssten beim Bildungsministerium neue Lehrgenehmigungen beantragen. Dann ging es Schlag auf Schlag: Paramilitärische Truppen räumten und demolierten ein halbes Dutzend Schulen, Ende letzter Woche verhafteten sie sechs Lehrer. Der Grund: An den Schulen wurde Rumänisch in lateinischer Schrift gelehrt und nicht in kyrillischer. Damit, so die Kommunisten um ihren Führer Igor Smirnov, werde den Kindern ein Geist eingeflößt, der dem transnistrischen widerspreche.

Inzwischen hat der Schulkonflikt internationale Dimensionen erreicht. US-Außenminister Colin Powell zeigte sich „besorgt“ über der Entwicklung, die EU drohte den Separatisten in Transnistrien mit Strafmaßnahmen, das Moskauer Außenministerium warnte vor einem neuen Bürgerkrieg.

Die international nicht anerkannte Transnistrien-Republik ist die letzte Bastion kommunistischer Hardliner in Europa. Der schmale Landstreifen spaltete sich von der Exsowjetrepublik Moldau ab, noch bevor diese im August 1991 ihre Unabhängigkeit erklärt hatte. Hintergrund war ein Machtkampf zwischen sowjettreuen und Wendekommunisten. Angeheizt wurde der Konflikt entlang ethnischer Linien. Von den 4,3 Millionen Einwohnern in der Moldau-Republik sind zwei Drittel rumänischsprachige Moldauer, ein Drittel Russen, Ukrainer und andere Minderheiten.

Als die lateinische Schrift für das Rumänische 1989 wieder zugelassen und Rumänisch zur obligatorischen Amtssprache erklärt wurde, war das für die Separatisten in Transnistrien das Signal zur Abspaltung. 1992 kam es zu einem Bürgerkrieg, den keine der beiden Seiten gewann. Seit dem Waffenstillstand herrscht kalter Krieg: Bei den Verhandlungen um eine Reintegration Transnistriens in die Moldau-Republik gibt es seit Jahren keinen Fortschritt. Nicht zuletzt wegen der Spaltung ist die Moldau-Republik auf den Platz des ärmsten Landes in Europa abgerutscht.

Hinter dem weltpolitischen Interesse am Transnistrien-Konflikt stecken andere Gründe als die Sorge um Armut. Am Fluss Dnjestr, der Trennlinie zwischen der Moldau-Republik und Transnistrien, spielt sich ein Ost-West-Konflikt im Miniformat ab. Dabei geht es um die Frage des russischen Einflusses auf die Region. Russland hat noch etwa 2.000 Soldaten in Transnistrien stationiert, die es laut einem OSZE-Abkommen von 1999 Ende 2002 hätte abziehen müssen. Sie sind Restbestände der früheren 14. russischen Armee.

Für die Nato und die EU ist es hingegen inakzeptabel, dass Russland seinen Einfluss auf exsowjetische Republiken militärisch untermauert. Hinzu kommt, dass Transnistrien eine Drehscheibe des internationalen Drogen-, Menschen- und Waffenhandels und der Geldwäsche ist. Beobachter befürchten, dass Terroristen in Transnistrien radioaktive Substanzen aus alten russischen Waffenbeständen erworben haben könnten.

Die scharfen westlichen Reaktionen auf den Schulkonflikt – EU und OSZE sprechen von „linguistischer Säuberung“ – verwundern deshalb nicht. Auch die moldauische Führung reagierte ungewöhnlich scharf. Der kommunistische Präsident Vladimir Voronin nannte die transnistrische Führung „kriminell“, brach die Reintegrationsverhandlungen ab und verhängte zum 1. August eine Ex- und Importblockade für transnistrische Firmen. Die transnistrische Führung antwortete mit Zugblockaden, führte eine Einreisesteuer für moldauische Staatsbürger ein und drohte, das Land werde sich offiziell Russland angliedern.

Ein Ende der Eskalation ist nicht abzusehen. Russland hielt sich bisher bedeckt. Möglicherweise eine Quittung für das Verhalten des moldauischen Staatspräsidenten Ende 2003: Damals hatte Voronin einen russischen Friedensplan für den Transnistrienkonflikt abgelehnt. Demzufolge hätte Transnistrien ein eigenständiger Staat in einer losen Förderation werden sollen. Und: Russisches Militär hätte mindestens bis 2020 bleiben können.