: Delirium des Kameradrehwurms
Die Filmreihe im Berliner Arsenal, das die Ausstellung „Conceptionalisms“ in der Akademie der Künste begleitet, zeigt, wieder Fokus von einer Institutionenkritik der Filmproduktionsbedingungen zu einer der Rezeptionsbedingungen gewandert ist
von DIEDRICH DIEDERICHSEN
Als Jeff Koons zuletzt seine zwei öffentlichen Haken in Hamburg installieren wollte, hieß auch er überall „der Konzeptkünstler Jeff Koons“. „Konzeptkünstler“ hat als Verlegenheitsbegriff für jeden posttraditionellen bildenden Künstler längst den „Aktionskünstler“ abgelöst, den der Spiegel so lange auf jeden applizierte, der sich Spektakuläres ausgedacht hatte, das man unter Personalien melden konnte. Wer schon mal ein Buch gelesen hat und nicht malt oder bildhauert, also etwa 95 von 100 Biennale- und documenta-Teilnehmern, heißt heute „Konzeptkünstler“.
Es gab sogar gute Gründe, als Ausstellungen und theoretische Projekte in den letzten Jahren den Begriff des Konzeptualismus und der Konzept-Kunst in den Plural setzten. Denn eine Concept-Art hatte es nicht nur in den späten 60ern in New York gegeben. Verschiedene Vorläufer lassen sich eher im Umfeld der Künstler finden, die schon um 1960/61 in Yoko Onos Manhattaner Loft die Urzelle dessen bildeten, was später Fluxus heißen sollte. Es gab darüber hinaus einen Konzeptualismus in Brasilien und Argentinien, in Japan und den Staaten des Warschauer Pakts. Davon berichteten Ausstellungen wie „Global Conceptualism“ 1999 und zu einem nicht unwesentlichen Teil auch Catherine Davids documenta X 1997.
Nun sollte man aber einen inflatorischen Gebrauch des Begriffs stoppen. Die Ausstellung „Conceptualisms“ in der Berliner Akademie der Künste hat sich darum nicht gerade verdient gemacht. Sie hat die Klangsinstallation als Unterdisziplin der Konzeptkunst entdeckt und einige Installationen nach keinem erkennbaren Prinzip zusammengestellt. Die von Kurator Christoph Metzger in einem Radiointerview geäußerte These, die Konzeptkunst habe ihren Ursprung in der Musik, ist zwar nicht ganz unplausibel. Denn die in seiner Fluxuszeit als reine Ideen notierten Kompositionen #1 – #29 wurden von La Monte Young tatsächlich in einem ähnlichen Sinne zur maximalen Reduktion der kompositorisch künstlerischen Tätigkeit auf eine isolierbare Idee zugespitzt wie ein paar Jahre später Lawrence Weiners Ideen, die „nicht verwirklicht werden“ mussten. Von diesem historischen Zusammenhang wird aber in der Ausstellung nichts erzählt, nur von dem Umkehrschluss ausgegangen, dass der hohe Anteil der Fluxus-Musik an der Geburt der Konzeptkunst auch dazu berechtigt, ihre anderen Kinder „konzeptuell“ zu nennen.
Was man aber an der Entwicklung von La Monte Young auch lernen kann, ist, wie der extreme Antifetischismus einer aus einer einzigen Anweisung bestehenden Komposition in den extremen Klangfetischismus einer totalen Musik umschlagen kann. Pulse und Drone, die Urformen minimalistischer und (in Youngs Fall) einer in einem mystischen Sinne überwältigenden Kompositionen, erschienen zuerst in der Gestalt solcher lakonischen und scheinbar maximal trockenen Anweisungen. Einen ähnlichen Umschlag gibt es auch immer wieder bei den konzeptuellen Filmen, die das Arsenal in einer zweimonatigen Begleitretrospektive neben die Ausstellung in der Akademie der Künste gestellt hat. Besonders prominent ist dieser Transfer bei Tony Conrads „Flicker“, der einer ganzen Gattung ihren Namen gab. Aber auch bei Ernie Gehrs „Serene Velocity“, wo, wie Ulrich Gregor schreibt, Bilder eines leeren Korridors von „unterschiedlichen Standpunkten (…) miteinander auf rhythmische Weise so kombiniert werden, dass sich für den Zuschauer ein pulsierender hypnotischer Effekt ergibt“.
Hypnotische Effekte dieser Art entstehen auch bei der Betrachtung von Werner Nekes’ „Makimono“: Zu der streng minimalistischen, dreiteiligen elektronischen Musik Anthony Moores wird von einem fixen Aussichtspunkt aus eine Landschaft im 360-Grad-Winkel abgefilmt. Es gibt den kontinuierlichen Schwenk ebenso wie die Überblendung verschiedener Perspektiven und schließlich die Beschleunigung. Die letzten Minuten verbringt der Zuschauer im Delirium eines Kameradrehwurms: Aus der abstrakt aufklärerischen Idee eines konzeptuellen Films wird ein rauschhaft konzeptloses Ambient-Erlebnis. Im Gegensatz zu Young thematisiert der Filmemacher diese Ambivalenz.
Wie aber soll man von konzeptuellen Filmen reden, ohne bei der allgemeinen Inflation mitzumachen? Vielleicht über eine historische Minimaldefinition, die die klassische Concept-Art berücksichtigt. Denn erstens ging es der Generation um Art & Language, Lawrence Weiner, Joseph Kosuth und Douglas Huebler ja wirklich um jene „Dematerialization of the art object“, die im Untertitel von Lucy Lippards berühmter Chronik jener Jahre steht. Die bildende Kunst, schon seit Beginn der Moderne mehr als andere Künste von selbst legitimatorischen Debatten geprägt, hatte sich ein metakünstlerisches Problem vorgenommen: Konventionen und Traditionen können das konkrete, materielle Objekt der Kunst ebenso wenig rechtfertigen wie irgendwelche Gegendogmen. Ein solches Problem mit dem Objekt hat das Kino nie gehabt. Konzeptuelle Filme hatten, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, nie die Frage gestellt, ob es Kino und Filme auch ohne den Kinoraum und ohne einen belichteten Zelluloidstreifen geben kann.
Selbst das so genannte „Expanded Cinema“ blieb in seinen Expansionen – im Gegensatz zur bildenden Konzeptkunst – medienspezifisch. Selten wollte jemand vom Kino aus metakünstlerische Grundsatzfragen formulieren. Wenn von metakünstlerischen Problemen etwas beim konzeptuellen Film landete, dann die modernistische Selbstverständlichkeit, dass jedes Kunstwerk sich selbst begründen können muss. Das schloss aber für Filmer selten ein, die Gattung selbst begründen zu müssen.
Das zweite Anliegen der klassischen Konzept-Kunst, institutional critique, trifft das konzeptuelle Kino genauer. Die Idee der Kritik der Institutionen ist ein gemeinsamer Zug fast aller Filme, die das Arsenal präsentiert. Die harten materiellen, technischen und medialen Bedingungen des Filmemachens sind der Gegenstand etwa der Arbeiten Morgan Fishers: Film-Formate, Material, technische Vorspänne und Farbbestimmungstafeln. Beim „Colorfilm“ des Theoretikers und Filmers Standish Lawder schlängelt sich eine abgefilmte farbige Spule durch den farblosen Apparat, während – konzeptuell eher unmotiviert – Musik der Mothers of Invention erklingt. Natürlich meint Institution nicht einfach Körperschaften und Einrichtungen wie Museum und Filmförderung, sondern das gesellschaftlich Institutionalisierte an Kunst und Kinoproduktion schlechthin. Je enger und spezifischer man den Begriff liest, desto schwieriger wird jedenfalls der Vergleich von Film und bildender Kunst.
Ken Jacobs etwa hat sich nach einem campy Frühwerk auf eine immanente Kritik der Narration spezialisiert. „The Doctor’s Dream“ nimmt eine frühe Fernseherzählung auseinander: Ausgehend von der Mitte der rührseligen Geschichte des Landarztes, der lieb zu Kindern ist, fügt Jacobs jeweils die folgende und die vorangehende Szene an, bis sich am Schluss Anfang und Ende begegnen. Permutative Verfahren treten im konzeptuellen Kino oft auf – etwa bei Joyce Wielands „Reason Over Passion“ –, um der kaschierten Kontingenz des Narrativen ein anderes Verfahren entgegenzusetzen. Damit ist man aber auch schon bald bei jenen hier und anderswo konzeptuell genannten Arbeiten, deren Konzeptualität sich allerdings darin erschöpft, dass sie ein nichttraditionelles und externes Prinzip auf die Komposition oder Produktion eines Filmes anwenden: Man denke etwa an das berühmte Durchnummerieren von Peter Greenaway.
In dieser Hinsicht bietet das Programm einen interessanten Vergleich. Zum einen den Klassiker eines streng institutionskritisch verstandenen Films: Michael Snows „Wavelength“, ein einziger kontinuierlicher Zoom durch sein Atelier auf ein an der gegenüberliegenden Wand hängendes Foto, in dessen Verlauf dennoch sogar eine Mordgeschichte erzählt wird. Der Film ist in drei Teile geschnitten, die je nach den Bedürfnissen des Projektionsraumes über oder nebeneinander projiziert werden können. Es gibt keine Phase des Filmbildes, in der man nicht komplett über sein Zustandekommen informiert ist – und doch erschöpft sich seine Bedeutung nicht in diesem selbstreflexiven Akt. Dem gegenüber steht Hollis Framptons „Zorn’s Lemma“: Im Hauptteil wird immer wieder ein Alphabet aus (wechselnden) öffentlichen Schriftfundstücken in Einsekundenbildern abgefilmt. Nach und nach werden die Schriftbilder von anderen sich verändernden Platzhaltern ersetzt, bis am Schluss ein reines Zeichenalphabet in bewegten Bildern dasteht. Dieser Film erzählt vieles über Längen, Rhythmen und ihr Verhältnis zur Zeichenhaftigkeit. Man verbringt seine Zeit mit ihm in einem zunehmend ekstatischeren Zustand der Selbstbeobachtung – aber im Gegensatz zu „Wavelength“ oder „Standard Gauge“ von Fisher praktiziert er eher Zeichentheorie bewegter Bilder im Allgemeinen, als dass er institutionskritisch vom Film, seinen Apparaten und Bedingungen handeln würde.
Eine Institutionskritik und, wenn man so will, Parallele der Infragestellung des Kunstobjekts erreicht das Kino erst im letzten Jahrzehnt. Die Relativierung des Kinoraums, der Einzelprojektion, ja des Kino-Dispositivs an sich beschäftigt nicht nur viele Filmkünstler, die aus der bildenden Kunst kommen (im Arsenal vertreten durch Sharon Lockhart), sondern auch gestandene Hollywood-Regisseure wie Mike Figgis. Damit ist aber auch der Fokus von einer Institutionenkritik der Filmproduktionsbedingungen zu einer der Rezeptionsbedingungen gewandert. Für deren Präsentation bildet der Kinoraum selbst eine Grenze.
Bis 14. 9., Akademie der Künste, Berlin, und Kino Arsenal, Berlin (www.conceptualisms.de)
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