Vom Pizzabäcker zum nationalen Erwecker

Erst einflussreiche Exilgruppen sorgten für den Zerfall Jugoslawiens

Über Migration und Exil ist im vergangenen Jahrzehnt mindestens so viel geschrieben worden wie über den Balkan. Doch: Dieses Buch hat bisher gefehlt. In den bekannten Analysen über die Jugoslawienkriege der 90er-Jahre wird oft erwähnt, dass die Diaspora eine wichtige Rolle bei der nationalen und kriegerischen Mobilisierung gespielt habe. Aber es blieb bei Verweisen.

Offensichtlich ist vielen Autoren das Dickicht der Exilpolitik zu undurchschaubar. Paul Hockenos, US-Journalist mit Wohnsitz in Berlin, hat sich jetzt auf dieses schwierige Gelände gewagt. Über Interviews mit Exilpolitikern versuchte er zu erkunden: Wie konnten Kroaten, Serben und Albaner in Toronto oder Frankfurt am Main mit anderen Nationen koexistieren und gleichzeitig von einem ethnisch reinen Herkunftsland träumen? Wie funktionierte die nationale Mobilisierung der Exilanten, die Kommunikation mit dem „Mutterland“ und die Lobbyarbeit in den westlichen Staaten?

Hockenos untersucht nicht die Auslandsserben, -kroaten und -albaner als solche. Er versteht die „Exilpatrioten“ als Gemeinschaften, die sich über Vereinigungen und Medien erst herstellen. Wer am nationalen Zusammenhalt kein Interesse zeigt, gehört nach dieser Definition nicht dazu. Hockenos schildert also isolierte Welten, die wenig von ihrer Umgebung aufnehmen und stark auf die alte Heimat fixiert bleiben.

Diaspora-Organisationen, so der Autor, funktionieren dabei meist nicht nach demokratischen Regeln. Sie werden von denjenigen dominiert, die am lautesten schreien. Die leiseren Migranten, die unter den „Gastarbeitern“ die Mehrzahl stellten, hat Hockenos nicht befragt. Und während die Balkan-Lobbys in Nordamerika ausführlich beschrieben werden, bleibt Europa unterbelichtet. Weitere Studien sind also willkommen.

Hockenos beginnt seine Darstellung mit der kroatischen Emigration. Präsident Franjo Tudjman baute sein politisch-militärisches Programm in engstem Dialog mit radikalen Kroaten in den USA und Kanada auf. Es ist fraglich, ob es ohne Emigranten wie den späteren Verteidigungsminister Gojko Šušak jemals zum kroatisch-bosniakischen „Krieg im Kriege“ gekommen wäre.

Das serbische Kapitel „Little Helpers“ skizziert dagegen das Bild einer verwirrten Exilgemeinschaft, die sich als Fortsetzerin serbisch-alliierter Freundschaft seit dem Ersten Weltkrieg verstand und von dem antiserbischen Umschwung der 90er-Jahre überrascht wurde. Ihre politische Bedeutung schätzt Hockenos eher gering ein. Schließlich seien die Serben in Jugoslawien ohne Waffen und logistische Hilfe der Diaspora ausgekommen. Sie konnten auf die serbisch dominierte Bundesarmee zurückgreifen.

Die Mobilisierung der Kosovo-Albaner dagegen wäre ohne die Diaspora sicher anders verlaufen. Seit 1991 gab es die Exilregierung unter „Ministerpräsident“ Bujar Bukoshi in Stuttgart, die von allen Auslandskosovaren eine Steuer zur Finanzierung des albanischen Parallelstaates im Kosovo erhob und offenbar äußerst seriös mit den eingesammelten Geldern umging. Die Strukturen im Land hingen unmittelbar von den Exilanten ab.

Hockenos sieht die Diaspora-Aktivisten durch einen Schuldkomplex motiviert: Das materiell bessere Leben im Ausland muss durch Engagement für die Heimat erkauft werden. Je länger die Abwesenheit dauert, desto mehr jedoch kann sich dieses Engagement von den Bedürfnissen der daheim Gebliebenen entfernen. Dieses Problem war bei den 1945 vertriebenen politischen Eliten größer als bei den späteren Arbeitsmigranten: Die politische Kaste hatte oft schon vor der Flucht die Bodenhaftung verloren; durch die Emigration vergrößerte sich die Distanz zwischen Planern und Verplanten weiter.

Ethnisch reine Staaten waren aus der Entfernung, mit einer Landkarte statt mit konkreten Nachbarn vor den Augen, leichter denkbar. Die Vorstellungen über die Mittel konnten vage bleiben, und man brauchte nicht zu fürchten, dass die Gewalt aus dem Ruder laufen und einen selbst treffen könnte.

Hockenos weiß, dass er mit seinem Buch jenen Argumente liefert, die in Migration vor allem eine Gefahr sehen. Und er versucht, sich gegen falsches Lob abzusichern. Exilanten hätten positive und negative Potenziale, sie könnten sich von „Groll und Schmerz“, aber auch von einer „geschärften Vision“ für die Heimat leiten lassen. Er erinnert an positive Beispiele, etwa an die „brain drainers“, jene gut ausgebildeten jungen Leute, die Milošević’ Serbien zu hunderttausenden verließen, auch weil sie den nationalistischen Konsens nicht teilten.

Aber Kräfte wie diese hätten die Politik der Diaspora nie bestimmt, auch weil sie sich selbst nicht dazu zählten. Im globalen Zeitalter wirke die Politik der exjugoslawischen Exilgemeinden zwar anachronistisch. Aber die 90er-Jahre hätten gezeigt, dass Konzepte wie Transnationalität längst nicht überall Wirklichkeit sind. KLAUS BUCHENAU

Paul Hockenos: „Homeland Calling. Exile Patriotism and the Balkan Wars“. Cornell University Press, London 2003, 289 Seiten, 27,72 Euro