: Jahcoustix trifft den Ganjaman
Welch ein Jubiläum an diesem Wochenende: 10. Bersenbrücker Reggae Jam Festival. Einst im Bierzelt – heute im Klostergarten. Etwa 8.000 Besucher kommen wegen der friedlichen Atmosphäre. Minderjährige werden diskriminiert
Als Bernd Lagemann aus seinem alten Jaguar steigt, steht er unverhofft einem Stück seiner Vergangenheit gegenüber. Am Waldrand in der Nähe des Haseufers in Bersenbrück, zwischen Bremen und Osnabrück, erhebt sich ein Aluminiumgerüst – zum Teil mit einer Plane bespannt. Es ist das Zelt für das Bersenbrücker Schützenfest, das gerade aufgebaut wird.
Der 35-Jährige mit den schulterlangen Dreadlocks deutet zum Horizont: „Das alles hier gehört zum Campinggelände“, sagt er mit seiner leisen, ruhigen Stimme. Wenn Lagemann heute und morgen das 10. Bersenbrücker Reggae Jam Festival veranstaltet, werden dort statt des großen Bierzeltes tausende von Nylon-Iglus stehen.
Die Tatsache, dass Lagemanns Reggae-Gäste auf dem Schützenplatz campieren, ist jedoch nicht der einzige Berührungspunkt mit der Dorfkultur. Die Traditionsveranstaltung mit den Bersenbrücker Schützen wurde vor zehn Jahren zur Keimzelle des Reggae-Festivals.
„Damals war am Freitag auf dem Schützenfest nichts los“, erinnert sich Lagemann. Und so durfte er das Bierzelt an diesem Tag für seine musikalischen Visionen nutzen: Reggae-Konzerte in der niedersächsischen Heimat.
Die Begeisterung für den entspannt swingenden Sound der Karibik hatte Lagemann in der Großstadt gepackt: 1988, als er in Berlin Maschinenbau studierte. Seitdem reist der Reggae-Fan jährlich nach Jamaika. An der abgelegenen Südspitze der Insel besitzt er ein kleines Grundstück mit Haus – zum Relaxen.
Der Alltag zwischen dem Wochenend-Job bei einer Berliner Maschinenbau-Firma, einem Kfz-Sachverständigen-Büro in Bersenbrück und dem Festival ist anspruchsvoll. „Die Organisation des Festivals beginnt im Dezember“, erzählt Lagemann, „ab da hat man einen 13-, 14-Stunden-Tag.“
Aus dem Reggae-Bierzeltabend wurde schon bald ein Open Air-Festival: zunächst im nahe gelegenen Örtchen Talge, später im Garten des Zisterzienserinnen-Klosters St. Marien zu Bersenbrück, wo auch heute noch gejamt wird. Nonnen gibt es dort zwar schon lange nicht mehr. Aber die friedliche Atmosphäre innerer Einkehr lebt weiter an diesem Ort, den Graf Otto von Ravensberg 1231 als Sühne für eine Fehde gestiftet hat. Auch das „Reggae Jam“ verhält sich dementsprechend. „Es ist in zehn Jahren noch nichts aktenkundig geworden“, sagt Lagemann, „keine Schlägereien, keine Unfälle, keine Alkoholexzesse.“
Auch Ordnungsamtsleiter Günter Trienen hat kaum Grund zur Klage. Es habe im letzten Jahr ein paar Beschwerden wegen Ruhestörung gegeben. Auch hätten einige Besucher – trotz Trockenheit – auf dem Campingplatz Feuer gemacht. Passiert sei aber nichts.
Die Polizei behält das Festival dennoch im Auge. Außer möglichen Drogendelikten befürchtet sie die Verletzung des Jugendschutzgesetzes – besonders in Hinblick auf Alkoholkonsum und den Aufenthalt auf dem Gelände nach Mitternacht. Minderjährige werden daher am Eingang mit besonderen Handbändern gekennzeichnet, um leichter erkannt zu werden. Auf dem Schützenfest gibt es so etwas nicht. „Da kennt jeder jeden“, erklärt der 1. Kriminalhauptkommissar Wolfgang Rathmann.
Auf dem „Reggae Jam“ kennen sich zwar nicht alle. Und doch herrscht dort „so eine Harmonie“, wie Mathias Weirauch berichtet. Der 33-jährige Heilerziehungspfleger arbeitet als ehrenamtlicher Helfer. „Es gibt keinen Stress, und die Musik tut ihr Übriges dazu.“ Obwohl es außer Freigetränken, Gemeinschaftsverpflegung und einer Party keine Entlohnung gebe, „hat sich mit den Jahren ein fester Stamm an Helfern gebildet“. Einige reisen eigens aus Worms oder Nürnberg an und übernachten auf Lagemanns altem Bauernhof. Ohne diese Idealisten könnte das Festival auch nicht so preiswert gestaltet werden. Ein bundesweit beachtetes Zwei-Tage-Open-Air mit internationalen Künstlern für zwölf Euro: das gibt es sonst nirgends. Erwartet werden 8.000 Besucher. Ein großes Festival wie der Chiemsee Reggae Summer (20.000 Besucher) kostet 69 Euro. Dort spielen aber auch Alpha Blondy, Bad Manners, Seed und Linton Kwesi Johnson. In Bersenbrück gastieren etwa Admiral Tibet, Cashma Hoody, Dr Ring Ding oder Natty Flow. Ganjaman und Jahcoustix sind bei beiden Events dabei.
Christina Wurst, Tourismusbeauftragte der Samtgemeinde, interessiert sich nur am Rande für Reggae. Doch: „Das Festival ist ein Highlight für Bersenbrück.“ Es habe den Bekanntheitsgrad der Stadt „enorm gesteigert“ und werde auch von den Einheimischen gut angenommen: „Man geht da ja schon aus Lokalpatriotismus hin.“ Oder weil sonst wenig los ist. Weirauch erzählt: „Sogar meine Eltern gehen hin, die sind über Sechzig, hören zwar keine Reggae-Musik, finden aber die Atmosphäre klasse. Bersenbrücker lieben Beschaulichkeit.“
Andere holen sich das „Reggae Jam“ gleich ins Haus – wie Pastor Bernd Horstmann. Seine Klosterkirche St. Vincentius steht beinahe auf dem Festivalgelände. Jedes Jahr lädt er Musiker ein, während der Messe zu musizieren.
Reggae-Musikanten schwärmen ja immer wieder vom Aufbruch ins gelobte Land. Für Lagemann ist diese kulturelle Heimat der Reggae selbst. Seiner geografischen Heimat bleibt er trotzdem verbunden. Karibisches Feeling gibt es ja auch hier – selbst gemacht. Till Stoppenhagen
Weitere Infos: www.reggaejam.de