: Adorno, ein Wiedererkennungseffekt
Da hat Dieter Bohlen nichts zu lachen: Die Nachrichtenagenturen bringen die Kritische Theorie jetzt ganz groß raus
Endspurt in Sachen Adorno. Jetzt liegen die so genannten Themenpakete der großen Nachrichtenagenturen zum 100. Geburtstag vor. Am 11. September können sich geneigte Feuilletonredaktionen aus ihnen bedienen, und hier schon mal vorab die News für alle Fans: dass der Jubeltag ungenutzt vorübergehen wird, steht nach Sichtung der Themenpakete nicht zu erwarten; sie sind außerordentlich dick und ambitioniert geraten.
AP schickt einen Korrespondentenbericht zu Leben und Werk Adornos, einen weiteren Korrespondentenbericht zur Aktualität von Adornos „Kritischer Theorie“, einen Hintergrund zur „Frankfurter Schule“, Besprechungen der neuen Adorno-Bücher von Lorenz Jäger und Detlev Clausen und der Adorno-Einführung von Gerhard Schweppenhäuser sowie ein Foto. dpa hält einen Korrespondentenbericht zum Thema, wie zum 100. der private Adorno entdeckt wird, bereit, außerdem ein Gespräch mit dem Adorno-Nachfolger Axel Honneth, einen Hintergrund zur Kritischen Theorie und Negativen Dialektik, einen Bericht, wie Frankfurt im September seinen großen Denker feiert, ein Extra zu Neuerscheinungen im Adorno-Jahr, eine Chronologie zu Adornos wichtigen Lebensstationen sowie Bilder. Dass Adorno jenseits universitärer Zirkel vergessen ist, wie hier und da schon mal behauptet wurde, kann also nicht bestätigt werden. Stattdessen ist von einer nachrichtlichen Rundumversorgung in Sachen Kritischer Gesellschaftstheorie zu sprechen.
Inhaltlich fällt an den Themenpaketen vor allem eins auf: Man braucht gar nicht auf Adornos, um das Mindeste zu sagen, komplexes Liebesleben zu setzen, um das anstehende Würdigungsereignis zu popularisieren; die Eskapaden, Orgien und Seitensprünge des Denkers finden in den Themenpaketen kaum Erwähnung, der Spiegel ist mit seinem Versuch, hier eine Hintertreppe zum Werk des Denkers zu eröffnen, also nur bedingt durchgekommen. Stattdessen bauen die Nachrichtenagenturen darauf, dass ein Grundschatz von Adorno-Sätzen längst Bestandteil des Allgemeinwissens geworden ist. „Das Ganze ist das Unwahre“, „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch“, „Jazz hat mit Kunst überhaupt nichts zu tun“ und, selbstverständlich, der Klassiker „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ werden als Zitate an strategischen Stellen der Berichte platziert: Adorno, ein einziger Wiedererkennungseffekt.
Die trotz dieser Zitatfolklore schönste Popularisierungsidee hatte allerdings Ulrich Oevermann, von AP zur Aktualität Adornos befragt. Mit Blick auf dessen Kritik der Kulturindustrie einerseits und Dieter Bohlen andererseits meint der Soziologe: „Die Entwicklung der vergangenen 30 Jahre hat Adorno im Grunde bestätigt.“ Heißt das, dass es Bohlens „Superstars“ nie gegeben hätte, wenn wir auf Adorno gehört hätten? Leider reicht der AP-Hintergrund nicht, um dies zu klären. Immerhin, auf Bohlen-Feindschaft kann man also setzen, um Adorno zu popularisieren. Hübscher Nebeneffekt: Damit dürfte es Adorno leichter haben als jeder andere Philosoph. DIRK KNIPPHALS