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Archiv-Artikel

barbara bollwahn - Rotkäppchen Die Blubberbläschen des realen Sozialismus

Ungarische Siphons namens „Balaton“ verweigern das trockene Pups-Geräusch der modernen Wassersprudler

Die DDR lebt! Bei mir zu Hause in der Küche, in Form eines Heimsprudlers. Den schenkte mir ein sehr um die deutsch-deutschen Beziehungen bemühter bayerischer Kabarettist, dem ich erzählt hatte, dass ich neuerdings Siphons sammle, also Wassersprudler. Zu den vor langer Zeit in Argentinien und Spanien erworbenen alten Exemplaren aus dickem Glas und mit fetten Bleiverschlüssen hat sich nun ein DDR-Heimsprudler „Balaton“ gesellt.

Während die ersten Exemplare schon vor Jahren ihren Geist aufgegeben haben, war der Ostsprudler noch original verpackt, und sogar die Gebrauchsanleitung lag in dem Karton. Darin stand, dass er von einem ungarischen Betrieb hergestellt worden war und die Garantieansprüche vom sächsischen VEB Industrievertrieb übernommen wurden. Außerdem gehörte zu dem Sprudler noch eine Packung mit zehn Naturkohlensäurepatronen. Der aufgedruckte EVP lag bei 11,50 Mark für neue und 2,84 Mark für wieder gefüllte Patronen. Gekauft hatte der Bayer den Sprudler samt Patronen für 30 Euro, also fast 60 Westmark. Egal, wie teuer oder billig der „Balaton“ selbst war, eine ordentliche Wertsteigerung selbst bei einem Kurs von 1:1.

Dem Verkaufsstempel konnte ich entnehmen, dass der Heimsprudler am 30. Juni 1971 von einem Verkäufer namens König in der Verkaufsstelle der Fachhandelsorganisation (HO) in der Kastanienallee 3 in Berlin verkauft wurde. Was der Herr König heute macht, weiß ich nicht. In der Kastanienallee 3 hat jedenfalls jetzt die Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein, Sektion Deutschland, ihren Sitz.

Absolute Wahrheit hin oder her, die einjährige Garantie des Heimsprudlers war sowieso 1972 abgelaufen. Da war ich acht Jahre alt. Aber bei ordnungsgemäßer Lagerung, so steht es in der Bedienungsanleitung, seien die Patronen unbegrenzt funktionstüchtig. Typisch, dieser sozialistische Wahn, dachte ich. Unbegrenzte Haltbarkeit! Die entwickelte sozialistische Gesellschaft, in der ich groß geworden bin, stand ja angeblich auch wenige Schritte vor der Schwelle zum Kommunismus. Und zum Schluss wurde es ein ganz anderes System, das nur den gleichen Anfangsbuchstaben trägt.

Doch dann wollte ich es wissen. Dass der „Balaton“, wie in der Gebrauchsanweisung angepriesen, es ermöglicht, „unerwartete Gäste schnell und ohne große Vorbereitungen zu bewirten, Feierabende und Festtage zu verschönern“, glaubte ich sofort. Doch bei der Lebensdauer der Patronen war ich skeptisch.

Vor mich auf den Küchentisch legte ich die Gebrauchsanleitung. Schritt für Schritt folgte ich den Instruktionen: Ich schraubte den Siphonkopf ab, nahm das Steigrohr mit dem Rohrgummi heraus, füllte Wasser in den Apparat („nicht mehr als einen Liter!“), hielt die Flasche während des Füllens senkrecht, achtete darauf, dass das Niveaurohr in der Flasche steckte, tat das Steigrohr mit dem Rohrgummi in den Apparat zurück und schraubte den Kopf wieder drauf.

Dann ging es ans Eingemachte beziehungsweise an die angeblich unvergänglichen Patronen. Vorsichtshalber legte ich ein Handtuch über den Siphon, nachdem ich die Patrone in den Kopfblock eingelegt hatte. Wie ein Sprengmeister, der eine Bombe entschärft, führte ich die Patrone Millimeter für Millimeter in Richtung Stechbolzen. Ich hatte richtig Schiss. Vorsichtshalber drehte ich den Kopf weg. Wenn mir schon ein Arm weggerissen würde, wollte ich wenigstens mein Augenlicht behalten. Mit angehaltenem Atem machte ich die entscheidende Umdrehung.

Und? Es blieb ruhig in meiner Küche. Keine Explosion, keine zerfetzten Gliedmaßen, nicht mal dieses trockene Pupsgeräusch, das die neuartigen Plastiksprudler von sich geben. Stattdessen durchströmte ein befreiender Zischlaut den Raum. Das Kohlendioxyd verband sich mit dem Wasser: Realer Sozialismus mit Blubberbläschen! Ich schüttelte die Siphonflasche kräftig, so wie vom Hersteller empfohlen, stellte den Apparat einige Minuten beiseite und drückte dann auf den Hebel. Das Wasser sprudelte heraus, dass es nur so eine Freude war.

Kaum hatte ich in den darauffolgenden Tagen unerwartete Gäste schnell und ohne große Vorbereitung mit meinem Siphon bewirtet, verflog meine übersprudelnde Freude. Denn mit jedem Gast schrumpfte mein Patronenvorrat. Und weil die Kohlensäurepatronen dieser neumodischen Wassersprudler namens „Soda Maxx“ oder „Aqua Frizz“ viel größer sind als die östlichen, stellte ich mir die bange Frage: Wo um alles in der Welt bekomme ich nun Nachschub her?

Schlimmstenfalls muss ich nun auf Flohmärkte, zu Nostalgietreffen und Wohnungsauflösungen und auf Vorrat kaufen, so viel auch immer ich kriegen kann.

So wie damals.

Angebote an Balaton-Patronen? kolumne@taz.de