schwabinger krawall: der fluch des rückstrahlers von MICHAEL SAILER
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Seit Jahr und Tag fährt Herr Reithofer mit dem Rad durch den Englischen Garten ins Amt. Dass das Amt kein Amt mehr und er gehalten ist, seine Dienstleisteruniform zu tragen, hindert ihn nicht: Er klemmt diese auf den Gepäckträger und zieht sich im Toilettenhaus am Chinesischen Turm um.

Herr Reithofer ist ein Muster an Beständigkeit. Das heißt: war. Als Herr Reithofer an einem Montagabend im Frühjahr nach Hause kam, war er von oben bis unten mit Bier übergossen und dermaßen erbost, dass er beim Abstellen versehentlich den Ständer weggetreten und die Federung des Gepäckträgers abgerissen hat. So etwas sei ihm noch nie passiert! Zunächst hätten ihn 15 junge Männer, allesamt schwer betrunken und in beschmierte Lumpen gekleidet, lauthals brüllend als „Ausscheider“ bezeichnet, in krassem Gegensatz zu dieser ihm bis dahin nicht geläufigen Beschimpfung sodann sich selbst oberhalb entleert und ihm auch noch die lacken Neigerl in ihren Krügen über den Kopf geschüttet. Unter ohrenbetäubendem Pfeifentrillern seien sie nach dem entwürdigenden Vorgang weitergezogen.

Eine Gruppe von Zivilisten habe sich genähert, aber nicht etwa um ihm zu helfen oder wenigstens die Verfolgung der Vandalen aufzunehmen, sondern um von ihm in einer quengelnden Abform der englischen Sprache den Weg zum Hofbräuhaus zu erfragen. Er habe sie Richtung Oberföhring weggeschickt und sich ein paar Meter weiter Hilfe suchend an einen Polizisten gewandt, aber dieser habe sich lediglich für sein Fahrrad interessiert und festgestellt, an diesem fehle ein „großer Rückstrahler“ mit einer „Z-Kennung“, was verboten sei und fünfzig Euro koste.

Was danach geschah, sei ihm nicht mehr zur Gänze erinnerlich, sagte er dem Richter, vor den er einige Wochen später bestellt worden war. Er habe dem Polizisten lediglich etwas erklären wollen, und wie die Fahrradkette um dessen Hals geraten sei, wisse er nun wirklich nicht. Möglicherweise sei selbiger ausgerutscht; von einem Handgemenge sei ihm jedenfalls nichts bekannt, und die zwölf ebenfalls uniformierten angeblichen Zeugen sehe er durchaus zum ersten Mal.

Seine Frau riet ihm, auf einen Einspruch zu verzichten und in Zukunft mit dem Bus ins Amt zu fahren oder halt einen „großen Rückstrahler“ mit „Z-Kennung“ an seinem Fahrrad anzubringen, aber Herr Reithofer entgegnete, er habe bereits zu einem Fantasiepreis einen solchen erworben, der passe aber nicht an seinen Gepäckträger; er denke nicht im Traum daran, dem offenbar mit dem Polizisten verschwägerten Fahrradhändler auch noch einen neuen Gepäckträger und dann, wenn der nicht an sein altes „Brandenburg“ passe, womöglich ein Neufahrrad abzukaufen; er wolle nur sein Recht, und dieses bestehe unter anderem darin, nicht voll gespien, mit Bier übergossen, nach touristischem Allotria ausgequetscht und unter Falschanklage gestellt zu werden.

Der Prozess geht demnächst in die dritte Instanz, der Ausgang ist schwer abzuschätzen; aber dass Herr Reithofer nicht mehr der alte ist, dies steht fest.