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Archiv-Artikel

„Lafontaine verkauft sich als Opfer gut“

Der Ex-SPD-Chef sei ein Kopf, wie ihn die Linkspartei braucht, sagt Politologe Franz Walter. Angst haben müsse aber eher die Union

taz: Herr Walter, wird Oskar Lafontaine doch noch Kanzler – mit einer neuen Linkspartei?

Franz Walter: So groß ist das Potenzial der Frustrierten nicht. Aber mehr als 5 Prozent sind drin für eine Linkspartei – allerdings fehlen bisher fähige Köpfe. Das könnte der Volkstribun und Charismatiker Lafontaine ändern.

Würden die Wähler nicht fürchten, dass Lafontaine sie wieder im Stich lässt – wie schon als Finanzminister?

Lafontaine verkauft sich gut: Er stellt sich als Opfer dar, das von Kanzler Schröder verraten wurde – und genauso fühlen sich seine potenziellen Wähler.

Lafontaine scheint auf späte Rache zu hoffen: Er will die Unzufriedenen in der SPD ermuntern, Schröder zu stürzen.

Das muss scheitern: Wer sollte denn revoltieren? Es fehlt eine sprachfähige Opposition in der stromlinienförmigen SPD. Schröder ist parteiintern viel ungefährdeter, als es beispielsweise sein Amtsvorgänger Helmut Schmidt Anfang der 80er war.

Schröder könnte also gelassen zusehen, falls sich eine neue linke Partei etabliert?

Er sollte sich sogar freuen. Dann würden auch noch die letzten Unzufriedenen die SPD verlassen und zur Linkspartei wechseln.

Aber würde die SPD nicht massiv an Stimmen verlieren?

Zum Teil. Doch nach 140 Jahren wäre sie ihr schlechtes linkes Gewissen los und könnte sich als Partei der „neuen Mitte“ profilieren. Damit könnte sie die Union schwächen, die ebenfalls um die „neue Mitte“ wirbt.

Eine interessante Deutung: Eine neue Linkspartei wäre kein Problem für die SPD, sondern für die Union?

Die CDU war immer dann am erfolgreichsten, wenn sie einen Lagerwahlkampf gegen die SPD führen konnte. Das hat schon 1998 nicht funktioniert, weil die Sozialdemokraten damals mit dem Slogan der „neuen Mitte“ kamen. Künftig würde der Lagerwahlkampf gegen die SPD noch schwieriger, wenn sich die „linken Socken“ in einer eigenen Linkspartei sammeln.

Aber muss die Union noch auf die alte Lagerstrategie setzen? Sie gewinnt doch sowieso alle Wahlen.

Die Union bindet momentan die frustrierten Unterschichten. Sie ist zur Arbeiterpartei zwischen München und Hamburg geworden. Eine intakte und dynamische Linkspartei würde genau diese Klientel ansprechen, die CDU würde Wähler verlieren.

Bisher sind die Frustrierten aber nicht nach links, sondern zu den Rechtspopulisten abgedriftet – siehe Schill in Hamburg.

Oder Österreich oder die Niederlande. Aber es gibt in Europa auch andere Modelle: In Schweden hat sich eine Linkspartei etabliert, die jetzt die regierenden Sozialdemokraten toleriert.

Hier kann das noch dauern: Wenn überhaupt, will Lafontaine erst zur Bundestagswahl 2006 antreten.

Eigentlich ist das zu spät. Schon die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nächstes Jahr wäre geeignet. Dort ist die Enttäuschung bei den SPD-Anhängern immens hoch. Doch Lafontaine ist monomanisch auf den Sturz von Schröder fixiert. Diese Egozentrik ist gefährlich für eine neue Linkspartei.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN