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: DeutschlandsSuperstar, 1920

„Richard Tauber – Dein ist mein ganzes Herz“ (23 Uhr, ARD)

Man nennt ihn gerne den ersten deutschen Popstar, denn sein Schaffen und seine Person wurden in den Zwanzigern einer bis dahin unbekannten Rundumvermarktung unterzogen. Dabei stellte Richard Tauber eigentlich gar nicht das optimale Marketingobjekt dar, das Stimmvolumen des rundlichen Tenors etwa war in Anbetracht des beachtlichen Körperumfangs nicht sensationell. Aber ihm gelang etwas, was noch viele andere Popstars nach ihm zum Erfolg führte: Er verwandelte seine Schwächen in Charisma.

Wie das technisch genau vor sich ging, führt in „Richard Tauber“ der legendäre Wiener Opern-Impresario Marcel Prawy vor: Am Piano imitiert der alte Herr pointiert den Personalstil des Gesangsstars. Prawy selbst starb 91-jährig kurz nach Fertigstellung des Films. Ein Umstand, der ein interessantes Licht auf die Produktionsgeschichte des Doku-Dramas wirft: Um Zeitzeugen aufzutreiben, musste sich Regisseur Kai Christiansen ranhalten. Die meisten befanden sich zur Zeit des Drehs in einem biblischen Alter, einige in einem kritischen Gesundheitszustand.

Eine Tatsache, die nicht zu unterschätzen ist, wenn man das Werk des Künstler über sein verkorkstes Liebesleben aufzuschlüsseln versucht. Denn Christiansen, der sich für seinen Film von Michael Jürgs Tauber-Biografie inspirieren ließ, beschreibt das Schaffen des Künstlers als große Kompensationsanstrengung eines Mannes mit Potenzproblemen. Diese These ist vertretbar – wird aber fast nur durch zweifelhafte Quellen belegt. Da spekuliert zum Beispiel die Witwe des Gärtners, der einmal auf der Bettkante der leicht bekleideten Sängersgattin gesessen haben soll, über das eigentümliche Treiben im Hause Tauber. In solchen Momenten verkommt das Künstlerporträt zur Kolportage. Eine Tendenz, die in den Spielszenen fortgeführt wird. Hier kopiert Armin Rohde zwar gekonnt die schüchterne Noblesse des Melancholikers, doch muss die defekte Libido des Sängers für allerlei burleske Späße herhalten. Klatsch und Tratsch ohne Ende – so wird Tauber posthum tatsächlich der zweifelhafte Ruhm eines modernen Popstars zuteil.

CHRISTIAN BUSS