: Hello Darkness, my Friend
Der Brite Peter Doig malt epische, düstere Traumlandschaften, die wie nicht von dieser Welt scheinen. Das Bonnefanten-Museum in Maastricht zeigt wichtige Werke dieses spät entdeckten Wunderkindes
von MAGDALENA KRÖNER
Eine grünhaarige Schöne liegt hingegossen in einem Kanu, das träge einen Fluss herabtreibt. Eine Hand hängt lasziv ins giftig phosphoreszierende Nass. Pflanzen lodern am Ufer wie züngelnde Flammen. Nach unten ist die Szenerie abgesetzt durch schwarze pastos aufgespachtelte Balken. „Canoe-Lake“ ist ein typisches Gemälde des Briten Peter Doig, wie es die Präraffaeliten nicht schöner hätten malen können.
Doig gilt als spät entdecktes Wunderkind etwas abseits der YBA’s – der Young British Artists, die in den frühen Neunzigerjahren für „Sensations“ in der Kunstwelt sorgten. Der heute 43-Jährige war einer der Ersten, der sich lange vor dem gegenwärtigen Boom mit gegenständlicher Malerei beschäftigte. 1994 brachte ihm das die Nominierung für den Turner-Prize ein – doch um ihn zu gewinnen, dazu schien die Zeit noch nicht reif.
Mittlerweile, fast zehn Jahre später, ist endlich auch der einst für YBA-Hype verantwortliche Sammler Charles Saatchi bereit – eben erst hat er Arbeiten von Doig gekauft.
Und auch das Bonnefanten Museum in Maastricht hat nun eine große Übersichtsschau mit 18 Gemälden Doigs und einigen Papierarbeiten eingerichtet. Kuratorin Paula van den Bosch schwärmt: „Viele seiner Arbeiten haben eine naive Qualität. Doig gibt eine allwissende Perspektive auf, um sich ganz dem Medium zu überlassen. Ich halte ihn für einen absolut authentischen Maler – fast könnte man ihn einen Neoromantiker nennen.“
Doch der Glaube an einen vom Diskurs unverstellten künstlerischen Ausdruckswillen, das Verlorengehen im Rausch der Farbe, ein ungebrochenes Verhältnis zu Gegenstand und Stil will sich nicht recht einstellen. Zu viele Verweise scheinen in Doigs Malerei auf.
Neben allen Schnittstellen zu Pop, High and Low ist Doigs Malerei stets auch Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte. Elaboriert und handwerklich perfekt stöbert der Maler im Fundus bereits existierender Bilder. Seine Motive entnimmt er seinem umfassenden privaten Bildarchiv. Fragmentiert und neu kombiniert, ergänzt oder verfremdet werden die gefundenen Bildmotive als Projektion auf die Wand geworfen und dann auf die Leinwand übertragen.
Auf diese Art malt Doig pointillistisches Wild an der Grenze zum Kitsch, exotische Traumlandschaften wie von Gauguin, Häuserleichen wie von Edward Hopper, schwarz ummantelte Gestalten, die ihre tiefe Melancholie mit Edvard Munch zu teilen scheinen. Doig nutzt diese strategischen Wahlverwandtschaften, um die gängigen Vorstellungen von künstlerischer Repräsentation zu entlarven.
Zunächst ist es jedoch das ästhetisch Vollkommene, unleugbar Schöne dieser Malerei, das anspricht. In „Blotter“ betört eine Winterlandschaft in überzuckerten Pastelltönen, in „Young Bean Farmer“ eine satt-goldene Herbstlandschaft. Doch bei näherer Betrachtung zeigen sich die inhaltlichen und formalen Störfaktoren, mit denen Doig die große Geste durchsetzt: „Charley’s Space“ wird von lauter Linien und Tupfen verschluckt, das verfallende „House that Jacques Built“ von abstrakten Elementen am Bildrand fast überrollt. Immer wieder scheinen Bildebenen nicht eigentlich zusammenzugehören, werden ohne Übergang aneinander gefügt.
Doig huldigt seinem Thema und attackiert es zugleich. Dem Bildgegenstand nicht zu trauen und dennoch quadratmetergroße Leinwände damit zu füllen – das gehört in seinem Werk zueinander wie das Schwere und Leichte, das stets gleichzeitig aufscheint. Bildersturm à la Doig bedeutet: Caspar David Friedrich trifft „Twin Peaks“, Anklänge an den Symbolismus stehen neben der Absage an modernistische Utopien.
Letzteres veranschaulicht Doigs Serie „Concrete Cabin“, die sich mit dem heute leer stehenden Wohnkomplex Le Corbusiers „Unité d’Habitation“ im französischen Briey-en-Fôret befasst. Der utopische Aufbruchswille, den diese Anlage symbolisiert, wird in den Hintergrund gerückt, umwuchert von dunklen Bäumen: ein unheimlicher Märchenwald oder doch eher ein Kräftemessen von Natur und Kultur?
Die Natur bleibt auf eine eigentümliche Art Sieger im Kampf der Elemente: Sie bleibt, wenn der Mensch gegangen ist. Die gelegentlich fast romantisch anmutende Naturnähe in Doigs Motiven mag eine simple Erklärung nahe legen: Mittlerweile lebt der in Schottland geborene, in Trinidad und Kanada aufgewachsene Doig nach langen Jahren in London jetzt wieder mit seiner Familie in Trinidad. Gerne betont er in Interviews diesen Aspekt; so sei es die stete Suche nach dem, was gerade nicht da ist, die ihn umtreibe. Der Maler malt sich in romantischer Geste seine Sehnsuchtsidyllen? Auch dieser Deutung scheinen die Bilder Doigs gegenüber zunächst offen. Doch wird das schwelgerische Schauen rasch irritiert. Das Einladende an Doigs Malerei führt den Betrachter zielstrebig auf unheimliches Terrain – die vermeintlichen Idyllen geraten auf Abwege. Bezüge zum Film liegen nahe, immer wieder zeigt Doig isolierte Figuren wie bei Ingmar Bergman, düsteren Suspense, Horror-Peinture à la Hitchcock.
Eine Art verlorene Christusgestalt dümpelt auf einem See, schwarz gähnen die Fenster eines verlassenen Hauses an einem wie verseucht wirkenden ausgetrockneten Tümpel, ein geisterhaftes Mädchen schaut auf den Betrachter aus dichtem Gestrüpp heraus. Handelt es sich um Geister, Wiedergänger oder echte Personen? Auch diese Frage lässt Doig unbeantwortet. Seine gemalten Tagträume und das schemenhafte Personal darin wurden immer wieder als Chiffren der Einsamkeit gedeutet, doch sind sie Träger eines im Zeitgenössischen gebrochenen nostalgischen Gefühls: gemalte Melancholie. Moderner Symbolismus.
Letztlich bleibt im Dickicht der Verweise aber immer ein offen gelassener Raum, ein Rest Undeutbares, Unbewusstes, das im malerischen Prozess wie zufällig ins Bild gerät und verwandelt wird. Dabei erscheint der Gegenstand manches Mal ephemer, kurz vor dem Übergang in die Abstraktion. Doigs Bilder feiern vor allem die visuelle Kraft des großen Formats, das stille, totenstille Spektakel aus Vorder-, Mittel- und Hintergrund, die bewusst gesampelten Versatzstücke: Malerei auf der Höhe ihrer Zeit, die lustvoll auch eine gehörige Portion Pathos ins System infiltriert.
Ausstellung bis 7. September, ab 9. Oktober im Carré d’Arts, Nîmes