Vesper will Hartz zurechtruckeln

Nordrhein-Westfalens stellvertretender Ministerpräsident verteidigt die Hartz-Gesetze – appelliert aber an die Kommunen, sozialverträglich vorzugehen. CDU-Chef Rüttgers fordert Überprüfung

AUS DÜSSELDORF ANDREAS WYPUTTA

NRW-Bauminister Michael Vesper (Grüne) hat die Städte und Gemeinden aufgefordert, bei der Umsetzung der Hartz-Gesetzgebung behutsam vorzugehen. „Im eigenen Interesse müssen die Kommunen Gettobildung durch monoton strukturierte Viertel vermeiden“, warnte der stellvertretende Regierungschef gestern in Düsseldorf. Befürchtungen, mit Inkrafttreten von Hartz zum 1. Januar kommenden Jahres stünden größere Umzugswellen an, wies Vesper ausdrücklich zurück: „Angemessenes Wohnen bleibt in NRW bezahlbar.“

Steuern kann das Bauministerium die Entwicklung aber kaum: „Zuständig für Problemfälle sind die Kommunen und sonst niemand“, räumte der Minister ein. Zwar wohne auch heute die Mehrzahl der Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger „keineswegs in Palästen“, offen bleibe aber die Situation der rund 200.000 Arbeitslosenhilfebezieher, die derzeit kein Wohngeld erhielten – über sie liegen keine statistischen Daten vor: Nach einem halbjährigen Bezug des neuen Arbeitslosengelds II (ALG II) können die Stadtverwaltungen den Umzug in eine „angemessene“ Wohnung verlangen. Als angemessen für einen Ein-Personen-Haushalt gilt etwa eine 41 bis 50 Quadratmeter große Wohnung, die im hochpreisigen Köln bis zu 297 Euro Kaltmiete kosten dürfe – in ländlichen Gebieten weniger.

Dabei hat sich die Einkommenssituation vieler Menschen in NRW bereits in den vergangenen drei Jahren massiv verschlechtert: Die Zahl der Wohngeldempfänger erhöhte sich seit 2001 um mehr als ein Drittel. In diesem Jahr können rund 870.000 Haushalte ihre Mieten nur mit öffentlicher Hilfe bezahlen. Ab 2005 wird Vespers Bauministerium wegen der Hartz-Gesetze dennoch für nur 310.000 Haushalte zuständig sein, also für die Bezieher des künftigen Arbeitslosengelds, Rentner und Kleinverdiener. Für die Masse der ALG II-Bezieher werden die Kommunen zuständig – sozialverträglich, wie der Minister hofft. Die Hartz-Gesetze verteidigte der Grüne trotzdem: „Es wird viele Gewinner, aber nur wenige Verlierer geben“, so das Fazit des Ministers. Wie jede große Reform müsse sich Hartz „erst einmal zurechtruckeln“.

Barbara Steffens, Sozialexpertin der grünen Landtagsfraktion, hält dagegen: Den bisherigen Arbeitslosenhilfe-Beziehern werde es fast durchgängig schlechter gehen, so Steffens gestern zur taz. Auch Sozialhilfeempfänger profitierten nur, wenn die versprochene aktive Arbeitsmarktpolitik greife: „Die ist aber nicht in Sicht.“ Heftige Kritik kam auch von der Opposition: Die Reform müsse überarbeitet werden, findet plötzlich auch der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende Jürgen Rüttgers, dessen Partei Hartz im Bundesrat noch verschärft hatte. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement, der Nachbesserungen ablehnt, sei „starrsinnig“.