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Archiv-Artikel

Presse im Minenfeld

Wegen angeblich „antistaatlicher“ Umtriebe hat der Kreml die letzte legale freie Zeitung für Tschetschenien verboten – es bleiben nur illegale Blätter

AUS MOSKAUKLAUS-HELGE DONATH

Die russischen Behörden haben in der vergangenen Woche auch der letzten unabhängigen legal erscheinenden tschetschenischen Zeitung Tschetschenskoje Obschtschestwo (TO, zu deutsch: „Tschetschenische Gesellschaft“) nahe gelegt, das Erscheinen einzustellen. Das Innenministerium in Inguschetien warf dem Chefredakteur, Timur Alijew, vor, mit dem Wochenblatt eine „antistaatliche“ Politik verfolgt zu haben.

TO erschien seit Januar 2003 mit einer Auflage von 3.000 Exemplaren in der Nachbarrepublik Inguschetien. Auch der Chef der staatlichen Druckerei in Nasran wurde ins Innenministerium zitiert und erklärte nach dem Verhör, in seiner Druckerei könne das Blatt nicht mehr erscheinen. Da es keine alternativen Druckmöglichkeiten gibt, kommt dies einem faktischen Verbot der Zeitung gleich.

Bereits in Frühling hatten Mitarbeiter des Innenministeriums in Nasran versucht, den Vertrieb der populären Zeitung zu verhindern. Im März weigerte sich die Staatsdruckerei wegen einer satirischen Darstellung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, die Ausgabe zu drucken. Nach Angaben des „Zentrums für extremen Journalismus“ in Moskau ist das inguschetische Innenministerium jetzt erst nach Intervention der moskautreuen Machthaber in Tschetschenien eingeschritten.

In der letzten Ausgabe hatte TO das Schicksal des 23-jährigen Tschetschenen Timur Chambulatow aufgegriffen, der im Gefängnis von Naursk von Sicherheitskräften zu Tode gefoltert worden war. Der Zeitung Nowaja Gaseta sagte Alijew, dieser Beitrag habe das Fass zum Überlaufen gebracht.

Das Innenministerium, so Alijew weiter, habe den Mord nicht bestritten, sondern lediglich darauf verwiesen, Artikel über Entführungen und Folterungen würden die seelische Befindlichkeit der Jugend negativ beeinflussen und sie dazu verleiten, sich unter Umständen Rebellen und fundamentalistischen Islamisten in den Bergen anzuschließen.

In Umfragen im Nordkaukasus hatte die Redaktion außerdem Preisträger einer „Kriegsprämie“ ermittelt. Neben den führenden Kriegsherren des ersten Tschetschenienfeldzuges – Kremlchef Boris Jelzin und Grosnys erster Präsident Dschochar Dudajew – gehörte auch Präsident Putin zu den prämierten Kriegstreibern.

In einem Leitartikel, der sich den von Moskau gesteuerten Präsidentschaftswahlen Ende August widmete, verglich Alijew den Job des tschetschenischen Oberhauptes mit dem eines Minensuchers. Wie dieser mache auch der Präsident nur einmal einen Fehler. Der letzte Statthalter Moskaus, Achmed Kadyrow, war im Mai einem Attentat zum Opfer gefallen.

Der Kreml behindert seit Jahren eine unabhängige Berichterstattung aus dem Krisengebiet. Russische und ausländische Journalisten dürfen nur in Begleitung russischer Sicherheitsorgane das Gebiet bereisen. Nach dem Verbot von TO können sich die Tschetschenen nur noch in den illegalen Zeitungen Itschkerija („Tschetschenien“) und Mechkel („Volksgericht“) über Politik informieren.