Dazwischen liegt es sich auch sehr gut

Afrika, ein Bewusstseinszustand: In gleich zwei Ausstellungen zieht sich die afrikanische Kunst derzeit die eigene Identität unter den Füßen weg. Stattdessen werden Hybridität und Dazwischensein betont: „New Identities“ in Bochum und „Afrika Remix“ im Düsseldorfer Museum Kunstpalast

VON JULIA GROSSE

Gleich zwei Ausstellungen sind derzeit zu sehen, die im Titel und Untertitel das Wort „Afrika“ tragen. „Afrika Remix“ in Düsseldorf und „New Identities. Zeitgenössische Kunst aus Südafrika“ im Museum Bochum. So eindeutig diese thematische Vorgabe zu sein scheint, so klar ist auch, dass es Afrika als homogenen Kontinent nur in unseren Köpfen gibt. Was also ist afrikanische Kunst heute?

„Afrika Remix“ wagt mit 88 Künstlern aus 25 afrikanischen Ländern, unter ihnen Stars wie Bodys Isek Kingelez, Chéri Samba oder David Goldblatt, den Versuch, die hybride Identität des Kontinents in den Vordergrund zu stellen. Denn Kairo ist nicht Kapstadt, Nairobi nicht Johannesburg, und ein Großteil der Künstler lebt ohnehin in Europa. Dementsprechend geht es Kurator Simon Njami, dem künstlerischen Leiter der Fotobiennale in Bamako und Gründer des Magazins Revue Noire, auch nicht um Definitionen, sondern um die Konfrontation mit den neuen Kunstkonzepten.

Yinka Shonibare beispielsweise, Brite nigerianischer Herkunft und nominiert für den Turner-Preis, zeigt in Düsseldorf ein viktorianisch eingerichtetes Zimmer, das er allerdings mit vermeintlich typisch afrikanischen Stoffen überzieht. Diese Konfrontation ist nur vordergründig eine Provokation, zeigt sie doch die tatsächliche Komplexität des Postkolonialismus: Produziert werden die Stoffe in Holland und England, exportiert werden sie nach Afrika, und Shonibare kauft sie schließlich wieder auf dem afrikanischen Markt in London.

Moshekwa Langa lebt in Johannesburg und Amsterdam und war mit seinen „Collapsing Guides“, mit Klebestreifen zusammengeflickten fiktiven Landkarten, gerade erst im Düsseldorfer Kunstverein zu sehen. Antonio Ole aus Angola rekonstruiert eine Barackensiedlung – allerdings aus deutschem Schrott. Und so geht man durch die vielen Räume der Ausstellung und wundert sich, warum sich aktuelle afrikanische Kunst anscheinend die eigene Authentizität unter den Füßen wegzieht.

Leichter zu fassen ist die mit 17 Künstlern erheblich kleinere Schau „New Identities“ im Museum Bochum. William Kentridge, Jane Alexander oder Zwelethu Mthethwa sind hier wie auch in Düsseldorf vertreten, in Bochum umspannt der thematische Rahmen allerdings konkret den künstlerischen Identitätsdiskurs mit dem Ende der Apartheid. Seit dieser Zeit gilt das Interesse der europäischen Kunstszene verstärkt den schwarzen Künstlern Südafrikas, man will sehen, wie sich die neue Definition schwarzer Identität künstlerisch darstellt.

Doch geht es eigentlich überhaupt noch darum, dass postkoloniale Kunstschaffende heute Werke produzieren, die immer und ausschließlich mit ihrer geografischen Herkunft zu tun haben? Entscheidender ist wohl die Feststellung, dass wir vor den hybriden Entwürfen der zeitgenössischen Künstler afrikanischer Herkunft kapitulieren und ihren Zustand des „Dazwischenseins“ als unspezifisch und entwurzelt deuten. Doch sind das nicht Empfindungen, die sich in veralteten Dichotomien von „traditionell oder zeitgenössisch“, „lokal oder global“ verheddern?

Das oftmals eigene Unvermögen, Werke wie die in Bochum und Düsseldorf zu fassen, ist gleichzeitig auch eine Chance, dieses „Dazwischenliegen“ als Realität anzuerkennen: mit einem Gros an Künstlern, die in Europa wohnen, wohl aber Afrikaner sind und ihre Identität immer mitreflektieren; die drei Sprachen sprechen, englische Stipendien bekommen und das durchaus, weil es im jeweiligen Herkunftsland kaum Fördermöglichkeiten gibt. „Mir fällt auf, dass hier immer versucht wird, Identitäten geografisch zu definieren: Wie viel Prozent ‚afrikanisch‘ ist das denn jetzt überhaupt noch …“, so der in Durban geborene Künstler Zwelethu Mthethwa bei der Vernissage in Bochum. „Aber Afrika ist für die meisten von uns heute ein state of mind. Dafür muss man nicht in Kapstadt wohnen.“

So oszillieren die Arbeiten, die in Bochum zu sehen sind, zwischen der Verarbeitung internationaler Einflüsse und der ganz persönlichen Aufarbeitung der Apartheid. William Kentridges surreale Trickfilm-Metapher „Ubu tells the Truth“ wird als Reaktion auf die Wahrheitskommission gelesen. Sam Nhlengethwa verarbeitet in ästhetisch verführerischen Fotocollagen die bittere Zeit des Widerstands in den 50er-Jahren. Minnette Váris Selbstdarstellung als glatzköpfiges, deformiertes Wesen, das die Vergangenheit als großes Fleischstück versucht hinunterzuwürgen, ist zugleich ganz nah bei den körperlichen und seelischen Grenzerfahrungen einer Marina Abramovic, die sich in Performances mit rohen Zwiebeln das Maul stopft. David Koloane zeichnet mit hektischem Strich die nächtliche Stadt, am Himmel leuchten die Sieger der Globalisierung hell wie der Mond: „Coca-Cola“ heißt eine Arbeit von 2001.

Und so muss man also feststellen, dass man in keiner der beiden Ausstellungen eine Definition für „Afrika“ findet, nur viele, individuelle Biografien. Afrika als state of mind.

„New Identities. Zeitgenössische Kunst aus Südafrika“, Museum Bochum, „Afrika Remix. Zeitgenössische Kunst eines Kontinents“, beide bis 7. November