„Sparen Sie bloß nicht!“

13. Stock (1): Ingrid Galla wohnt seit 1971 in der Bremer Neubausiedlung Grohner Düne. Nun müssen die Gallas ausziehen. Die Sozialwohnung ist einfach zu teuer für ihre Rente

Die Grohner Düne liegt damals gerade noch im Trend. Seit den frühen Sechzigern schießen die Großwohnsiedlungen nur so aus dem Boden. Vor den Toren Frankfurts entsteht die Nordweststadt, in Westberlin werden die Gropiusstadt und das Märkische Viertel gebaut, und schließlich stehen Anfang der Siebziger auch in Bremen-Nord die ersten Blocks.

Die Neue Heimat errichtet hier im Stadtteil Vegesack 10- bis 15-stöckige Häuser, die zur Weser hin sanft ansteigen und dann abrupt abbrechen. Das ist die Grohner Düne: komfortable Wohnungen mit Fahrstuhl und Tiefgarage, aus dem Fenster sieht man auf grüne Wiesen. Junge Familien mit Kindern schwärmen von gekachelten Badezimmern und hervorragenden Einkaufsmöglichkeiten. Es ist wie in einem Werbeprospekt. Doch der Traum der aufstrebenden Mittelschichten von einem neuen Leben am Stadtrand hält nur ein paar Jahre an. Die Grundstücke im Umland werden billiger, wer es sich leisten kann, zieht in ein Eigenheim. Bausparen ist jetzt cool, und das gilt bis heute. „Unsinn“, sagt Ingrid Galla, kurz bevor wir in ihrem Wohnzimmer im 10. Stock die Videokamera abschalten. „Fangen Sie bloß nicht an zu sparen.“

Ingrid Galla hat ihr Leben lang zur Miete gewohnt, 30 Jahre davon in der Grohner Düne. Jetzt muss sie ausziehen. 1.000 Euro Rente bekommt ihr Mann, der früher gleich nebenan in der Vulkan-Werft gearbeitet hat, 400 Euro werden es bei ihr sein, wenn sie in ein oder zwei Jahren nicht mehr in der Küche vom Kindergarten arbeitet. Die gut 700 Euro Miete für ihre Wohnung können sie sich dann nicht mehr leisten. Sozialwohnungen sind teuer, wenn sie nicht vom Sozialamt bezahlt werden. – Und wenn sie sich in der Grohner Düne eine kleinere Wohnung sucht? – Zwei Zimmer sind kaum noch zu bekommen: „Zu viele Singles.“

Vor vierzig Jahren war das anders. „Als das Kind unterwegs war, war klar, dass wir heiraten.“ Ingrid Galla ist gerade 16, als sie zum ersten Mal mit einer älteren Freundin ausgehen darf. Tanz in den Mai, die Mädchen machen einen Knicks, und die Jungen einen Diener. An diesem Abend lernt sie ihren Mann kennen. „Es hat gleich gefunkt.“ Dann ist sie schwanger. – Sofort? – „Eineinhalb Jahre später.“ Sie heiraten und wohnen zuerst in einer kleinen Dachgeschosswohnung in Vegesack, mit dem Klo auf halber Treppe. Als die Grohner Düne auf dem ehemaligen Gelände einer Steingutfabrik errichtet wird, bewerben die Gallas sich sofort um eine Wohnung. Es klappt. Erstbezug 1971.

Es gefällt ihnen, doch dann bauen Nachbarn, die mit ihnen eingezogen sind, nach und nach ihre eigenen Häuser, und die Blocks werden nach und nach mit Sozialhilfeempfängern aufgefüllt. Die Gallas bleiben mit ihren mittlerweile drei Kindern im 10. Stock. „Ich bin dickköpfig“, sagt Ingrid Galla. Außerdem gefallen ihr die Einfamilienhaussiedlungen ohnehin nicht. „Die armen Kinder. Bekommen ständig zu hören, dass sie im Garten keinen Krach machen dürfen.“

Also kein Haus. Bis heute nicht. Gespart haben sie natürlich trotzdem. „Für später.“ Später, das ist die Zeit nach der Rente. Also eigentlich jetzt. „Wir wollten immer eine Kreuzfahrt machen.“ Doch es sieht nicht so aus, als ob daraus demnächst etwas wird. „Das Geld ist ja nichts mehr wert.“ Und was sie haben, ist schon verplant: „Jetzt müssen wir erst einmal umziehen. Umziehen ist teuer.“ KOLJA MENSING

Kolja Mensing und Florian Thalhofer verbringen den Sommer im 13. Stock in Bremen-Nord, um einen interaktiven Dokumentarfilm über die Grohner Düne zu drehen. www.13terStock.de